Der diese Woche in Format interviewte US-Ökonom Daron Acemoglu von MIT hat gemeinsam mit seinem Harvard-Kollegen James Robinson das bedeutendste politisch-ökonomische Buch der vergangenen Jahre verfasst: “Why Nations Fail“ versucht die Schlüsselfrage zu beantworten, warum gewisse Staaten einen ungeheureren Wohlstand erwerben, während andere in bitterer Armut verweilen – oder irgendwo dazwischen.

Acemoglu und Robinson bauen an sich auf bekannten Theorien ökonomischer Institutionen auf – von Adam Smith bis Mancur Olson – und präsentieren eine Antwort, die genauso einfach wie bestechend ist: „It’s the politics, stupid“. Staaten, in denen die regierenden Eliten nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, sind zur Armut oder zumindest wirtschaftlicher Stagnation verdammt.

Nur dort, wo eine pluralistische Gesellschaft eine politische Struktur geschaffen hat, in der die Interessen einer breiten Masse berücksichtigt werden müssen, gibt es Anreize für profitables und damit auch produktives wirtschaftliches Handeln. Nur dann ist jenes Zusammenspiel von Innovationen, Investitionen und Wettbewerb möglich, das den Kapitalismus so erfolgreich macht.

In der Geschichte ist dies erstmals im England des 17. Jahrhunderts gelungen, als in der glorreichen Revolution von 1688 ein neuer König vom Parlament eingesetzt und von da an von diesem abhängig war.

England war zwar noch keine Demokratie, aber ihre Regierungen mussten Eigentumsrechte ohne Einschränkung respektieren und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen wirtschaftlichen Interessen suchen. Die „Bill of Rights“ war für Acemoglu und Robinson die Geburtsstunde der industriellen Revolution, nicht die Erfindung der Dampfmaschine.

Die Autoren bezeichnen dies als „inclusive“, also integrierende politische Strukturen, und stellen diese „extractive“, also ausbeuterische Systeme gegenüber. Diese können zwar auch Wachstum schaffen, indem sie massiv Mittel für hohe Investitionen mobilisieren, aber immer nur für eine beschränkte Zeit.

Denn die kreative Kraft des Kapitalismus entsteht nur dort, wo die Menschen sich sicher sein können, dass sie nicht die Früchte ihrer Arbeit und ihres Unternehmertums beraubt werden.

Willkür, Korruption, die Schaffung und Beibehaltung wirtschaftlicher Monopole, die manche sehr reich macht und anderen keine Chance bietet  - das sind die Symptome von Staaten, die nie nachhaltigen Wohlstand schaffen können.  Und dazu gehören leider die meisten Staaten der Welt, egal ob sie links oder rechts regiert werden.

„Why Nations fail“ bietet ein einfaches Muster, um 4000 Jahre Menschheitsgeschichte zu verstehen. Aber die Theorie bietet auch ein sehr brauchbares Erklärungsmuster für einige der zentralen Fragen der Gegenwart – vor allem eine: Wie wird es mit China weitergehen?

China ist das spektakulärste Beispiel für Wirtschaftswachstum, das die Welt je gesehen hat. Acemoglu und Robinson führen das zu Recht vor allem auf die Reformen Deng Xiaopings zurück, mit denen dieser marktwirtschaftliche Anreize in das völlig erstarrte und repressive Wirtschaftsmodell von Mao Zedong eingeführt hat.

Dengs Wirtschaftspolitik war „inclusive“, die Politik jedoch nicht. 30 Jahre hat das hervorragend funktioniert, doch nun treten immer mehr Bruchstellen auf.

Nach Meinung von Acemoglu und Robinson wird Chinas Wirtschaft früher oder später gegen eine Wand fahren, so wie einst die Sowjetunion, die auch in den fünfziger und sechziger Jahren durch hohe Staatsinvestitionen stark gewachsen ist und damals sogar davon geträumt hat, die USA ökonomisch zu überholen. „Wir werden euch begraben, rief Parteichef Nikita Chruschtschow damals aus.

Aber man kann ihre Theorie auch anders lesen. Es gibt autoritäre Regierungen, die dennoch das wirtschaftliche Gemeinwohl im Sinn haben, für viel wirtschaftliche Freiheit sorgen und weder in die eigene noch in die Tasche gewisser oligarchischer Gruppen wirtschaften. Singapur wäre so ein Beispiel, und manche sehen das heutige China in diesem Licht. Zumindest behauptet das die chinesische Führung von sich.

Nun gibt es in China ein gehöriges Maß an Korruption, doch wurde das von vielen bisher als unerwünschte Nebenerscheinung und nicht als zentrale Eigenschaft des Staatskapitalismus gesehen.

Etwas Korruption hält ein Land schon aus, wie man am Beispiel Österreichs sieht. Erst wenn die Unternehmen den Anreiz zum intelligenten Investieren verlieren, wird Korruption zum massiven Wachstumsbremse.

Dieses Bild hat zuletzt durch den Sturz des mächtigen Parteichefs von Chongqing, Bo Xilai (Bild), Schrammen bekommen. Wie sich in der Folge herausstellte, dürften Bo und seine Frau über die Jahre nicht nur Millionen, sondern Milliarden an Vermögen angesammelt haben. Mit Korruption in diesem Ausmaß ist das chinesische Wirtschaftswunder zum Scheitern verurteilt.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, Bos Sturz durch die Pekinger Führung zu interpretieren: Entweder hat diese erkannt, dass hier Grenzen überschritten wurden und China unbedingt einen anderen Weg einschlagen muss – einen in Richtung einer inklusiven Wirtschaftsordnung mit gesicherten Eigentumsrechten und moderater Korruption.

Das geht nur, wenn auch die Politik weniger repressiv wird und sich der Staat zunehmend aus der Wirtschaft herausnimmt. Einige der Aussagen von Premier Wen Jiabao unterstützen diese Lesart.

Oder aber Bo wurde gestürzt, weil er zu gierig war und nicht genug für die anderen kommunistischen „Prinzen“, den Söhnen mächtiger KP-Funktionäre, übrig gelassen hat.

Im zweiten Fall ist es um China schlecht gestellt. Dann haben wir es mit einem massiv ausbeuterischen System zu tun, wo Wachstum durch Mobilisierung von Arbeitskräften und kreditfinanzierten Investitionen erzielt worden ist. Weil beide Strategien an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoßen, wird sich das Wachstum in den kommenden Jahren immer weiter abschwächen und China nicht über das Niveau eines besseren Schwellenlandes hinauskommen.

Dann schrumpfen seine weltpolitischen Kapazitäten und nehmen die innenpolitischen Spannungen zu – bis hin zu einem Zerfall des Riesenreiches, wie es in der Geschichte schon öfter geschehen ist.

Man kann sich nur wünschen, dass China den ersten Weg einschlägt und zu einer liberalen, wenn auch nicht vollends demokratischen, Weltmacht wird. Die zweite Variante wäre nicht nur für China eine Katastrophe, sondern für die ganze Welt.

Der dritte Weg, dass China durch Beibehaltung des reinen Staatskapitalismus und der Diktatur dennoch weiter wachsen und schließlich die USA überholen wird, ist jedoch versperrt, wie Acimoglu und Robinson überzeugen darlegen. Und das ist höchst eine optimistische These.