Gabrielle Hamilton ist Besitzerin und Küchenchefin des "Prune" im New Yorker East Village.

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In ihrem Buch gibt sie Einblicke in ihren beruflichen Werdegang, in ihre Erfahrungen mit Essen und Trinken und in ihr Privatleben.

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Gabrielle Hamilton - von ihrer Mutter "Prune" (Pfläumchen) genannt - wächst eingebettet in eine Großfamilie in einer ehemaligen Spinnerei im Pennsylvania der 1970er Jahre auf. Regelmäßig laden die Eltern Freunde und Verwandte zu rauschenden Festen ein.

Einmal im Jahr ist eine vergleichsweise "schlichte Party" für etwa hundert Gäste angesagt, bei der Lämmer in Erdgruben gegrillt werden, mit grünem Apfelholz, das sein Aroma an das Fleisch abgibt. Die Kinder hüten die Glut, die Mutter betätigt sich exzessiv in der Küche, der Vater kümmert sich als Designer um die "Verpackung".

Von der französischen Mutter lernt Prune die elementarsten Lebensmittel und Speisen kennen, gute Qualität zu schätzen und Tiere von Kopf bis zum Schwänzchen zu verwerten. "Während viele Mütter stets ein wachsames Auge darauf hatten, dass sich ihre Kinder keine Stöcke, Steine oder Käfer in den Mund steckten, scheuchte unsere Mutter uns jeden Tag nach draußen, selbst wenn es regnete, und zeigte uns, wie man Schnecken und Gras isst."

Kochen bis zum Umfallen

Mit 13 ist Hamiltons Kindheit jäh zu Ende. Als "Scheidungswaise" wechselt sie nahtlos ins Erwachsenenleben, um sich mit Servieren und Abwaschen ihr eigenes Geld zu verdienen. Sie schafft den Schulabschluss und geht mit 16 mit 235 Dollar in der Tasche nach New York, wo sie in einem angesagten Club in die geheimen Codes des in die eigene Tasche Wirtschaftens erlernt und ihren gesamten Verdienst in Drogen investiert.

Nach einem Beinahe-Absturz in die Kriminalität schafft sie in mehreren Anläufen einen College-Abschluss und startet ins Catering-Geschäft der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre mit dem Trend zu Räucherlachsröllchen mit Frischkäse und Erbsensuppe mit Minze in kleinen Gläschen. Rund 900 Gläschen für ein 300-Personen-Buffet, in der Hochzeitssaison sechs bis zehn Buffets am Tag. Das alles mit Kühl-Lkws in Garagen gekarrt und in Rekordzeit den Gästen auf Silbertabletts kredenzt. "Ende Juni hatten die Partyplaner unisono Pfeiffer'sches Drüsenfieber und Herpes", erzählt Hamilton.

Kochen macht Spaß

Nach der Hochzeitssaison bekocht Hamilton ein paar Sommer lang hunderte Kinder in einem Ferienlager. Jedes Jahr engagiert sie neue Küchenhelfer. Bewerber, die ihre Motivation mit "Spaß" definieren, finden keine Gnade: "Jeder, der nicht professionell kocht, denkt, Kochen würde Spaß machen. Und es macht auch Spaß, aber nicht aus den Gründen, aus denen viele das glauben." Denn Kochen bedeutet 16-Stunden-Schichten, glühende Hitze am Herd, das Getöse des Abzugs, unüberschaubare Bon-Stapel, das Hantieren mit sechs Pfannen gleichzeitig ... Das ist 20 Jahre lang das Leben von Gabrielle Hamilton.

Der absolut unsinnige Tod mehrerer Hummer durch Ertrinken in Süßwasser, herbeigeführt durch ein paar wohlmeinende bekiffte Lager-HelferInnen, ist schließlich Auslöser für einen Schlussstrich. Ein Literaturstudium an der University of Michigan soll das küchenfreie Leben einleiten. Doch da sich die Köchin im Kreis der StudentInnen wie ein Fremdkörper fühlt, beginnt sie als Ausgleich - wen wundert's -, Arbeit am Herd zu verrichten. 

Geburtstermin nach Dienstplan

Nach Abschluss des Studiums führt sie eine Europareise an die bäuerlichen Herde griechischer Kleinbauern und zu den ländlichen Lebensmitteln ihrer Kindheit zurück. Bei ihrer Rückkehr kommt Hamilton zufällig zu einem eigenen Restaurant im New Yorker East Village: Das "Prune" wird für die Köchin Herzensangelegenheit und Obsession zugleich. Hier verwirklicht sie alles, was sie jemals an bleibenden kulinarischen Eindrücken erfahren hat, und gibt es an ihre Gäste weiter.

Kochen heißt bei Hamilton Abenteuer, Liebe, Familie - und jede Menge Arbeit. Auch als die deklarierte Lesbe aus Gründen, die sie selbst nicht so ganz nachvollziehen kann, einen italienischen Arzt ehelicht und zwei Söhne von ihm bekommt, verbringt sie nach wie vor ihre Tage und Nächte am Herd des Prune. Leidenschaft, Gewissenhaftigkeit und Aufopferung gehen so weit, dass sie ihren zweiten Sohn nach Termin per Kaiserschnitt entbinden lässt, um mangels Vertretung bis zum letzten Tag vor der Geburt in der Küche stehen zu können.

Nach und nach erschließt sich ihr selbst und der LeserInnenschaft die Motivation für dieses Workaholic-Dasein: Es ist die Suche nach der verlorenen Kindheit. Hamilton setzt alles daran, von der italienischen Familie ihres Mannes aufgenommen zu werden. Sie verbringt ihre Urlaube auf Märkten und am Herd, kümmert sich um das Haus in Italien, bekocht die Großfamilie und bleibt am Ende doch immer Fremdkörper.

"Ich liebe Gemüse, aber ich kann dort nicht mehr hin"

Immer wieder schreibt Hamilton über ihre persönliche Herd- und Marktphilosophie: "Ich habe auch meine Probleme mit den von sich selbst eingenommenen neuen Farmern, die glühend vor Selbstgerechtigkeit jeden Morgen ihren putzigen Stand aufbauen, mit einem Strauß Wildblumen und ein paar dekorativ aufgestapelten Bienenwaben und einem Glas Blütenpollen für 15 Dollar." Ein zahnloser Alter auf einem italienischen Markt verkauft auf der Ladefläche seines Ape-Dreiradrollers Zucchiniblüten und dunkelviolette Stangenbohnen. "Ein Euro die Handvoll" kosten die Blüten, und er füllt sie in ein zerknittertes altes Plastiksackerl.

Der Küchenchefin eröffnet sich eine beinahe verlorene Welt: "Es gibt keine Esel mit Holzsätteln mehr, keine Backhäuschen, zu denen die Frauen aus dem Dorf ihr Brot und ihre Auflaufformen bringen", schreibt Hamilton, "keine klingelnden Glöckchen in der nach Oregano duftenden Brise, wenn der Hirte mit seiner Ziegenherde von den Bergen herunterkommt - er mit einem langen Stecken und einer filterlosen Zigarette im Mundwinkel und wahrscheinlich weit über achtzig Jahren. Sie sind alle verschwunden, diese Menschen, die Lebensmittel anbauen und herstellen", beschreibt die Köchin die Letzten ihrer Art in einer Menge von topmodernen Marktständen mit blitzblanken Anhängern mit Strom und eigener Wasserversorgung. "Die 'Chicks' und 'Dudes', die mich schon vor Jahren vom Bauernmarkt vertrieben habe. Ich liebe das Gemüse, aber ich kann dort nicht mehr hin."

Auf der Jagd nach einem Klischee

Spätestens die zweite Hälfte des Buches steht im Zeichen des deutschen Untertitels "Mein Leben ohne Rezept", was für die Lektüre nicht unbedingt förderlich ist. Wo Hamilton bislang ihre Küchenerlebnisse durchgängig kraftvoll und fesselnd zu erzählen wusste, zerfranst sie sich nun mit der Suche nach einem Platz in einer Familie, die sie durch einen Mann zu gewinnen sucht, auf den sie sich emotional niemals eingelassen hat. Es ist die Suche nach dem Klischee der italienischen Großfamilie an einer langen Tafel zwischen Olivenbäumen und Weinreben.

Dabei bleibt vieles im Unklaren und vielleicht auch für die Autorin selbst nicht nachvollziehbar: der gut 20 Jahre währende Bruch mit ihrer Mutter, der selbst nach einem harmonischen Besuch mit den Kindern nicht zu kitten ist, die Wortlosigkeit zwischen ihr und dem Ehemann, die Ausgrenzung durch die italienische Familie.

Gabrielle Hamilton scheint sich nach jahrzehntelanger Kochtätigkeit selbst an den Herd verbannt zu haben. Dennoch erzählt sie ihre Geschichte mit Humor und Selbstironie. Eine gar nicht so maßlose Übertreibung, wenn Anthony Bourdain - der Mann, der so fesselnd in die Restaurant-Küchengeheimnisse einweihte, dass man förmlich am Buch kleben blieb - im Klappentext ankündigt: "Magnificent. Simply the best memoir by a chef ever. Ever." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 24.7.2012)