Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk leitet seit Januar 2002 gemeinsam mit Rüdiger Safranski die ZDF-Sendung "Das Philosophische Quartett".

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"Massenmedien sind die Komplizen des Terrorismus", konstatierte der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk, als er zum Auftakt der Generalversammlung des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ) am Donnerstag über die demokratie- und gesellschaftspolitische Verantwortung der Medien referierte. In Krisen - also auch bei terroristischen Angriffen - reagieren die Medien grundsätzlich monothematisch, das heißt sie stürzen sich auf ein Thema und leisten damit eine Art Selbsterschreckungsarbeit.

Als Beispiel nannte Sloterdijk den Fall Fritzl, nach dessen Bekanntwerden die Medien tagelang ausschließlich über Amstetten berichteten. "Die Antwort der Medien auf solche Zwischenfälle heißt: Sondersendungen. Hier werden das Bewusstsein der Nation total synchronisiert", analysierte der Philosoph. Die Geburtsstunde der Massenmedien war der Erste Weltkrieg, bei dem die Presse erstmals "in ihre Funktion als Synchronisatorin großer Populationen getreten ist". Das führte soweit, dass der Krieg an sich durch die Medien verherrlicht und in eine ästhetische Kategorie verschoben wurde. Für die Jugend waren die Kriegsnachrichten wie ein vier Jahre lang ausgetragenes Champions League Finale, so Sloterdijk, der sich hier eines Bildes von Sebastian Haffner bediente.

"Erregungsdienst verweigern"

Terroristen würden sich dieses Mediensystems bedienen. Es herrsche durch die überbordende Berichterstattung über terroristische Anschläge eine Art Komplizenschaft zwischen Terrorismus und Medienmachern, die nur aufzulösen sei, "wenn Medien ihren Erregungsdienst an dieser Stelle verweigern". Vorbildliches Beispiel für so ein "demokratisches Schweigen" der Presse sei etwa der Pakt zwischen Wiener Zeitungen und Wiener Linien, nicht über Selbstmorde vor U- oder S-Bahnen zu berichten, um Nachahmungstaten zu verhindern.

Monothematik als Zeichen der Krise

Grundsätzlich seien Massenmedien für die Konstruktion moderner Gesellschaften deutlich wichtiger als gemeinhin angenommen, meinte Sloterdijk. Eine "glückliche Gesellschaft" erkenne man daran, dass Massenmedien vielfältige Themen anbieten und dem Leser Zerstreuung bringen, wohingegen eben in der Krise die Monothematik herrscht. Die Aufgabe des Bürgers in diesem System sei es, sich täglich "an der Erregungsfront zur Verfügung zu stellen", den "guten Bürger" erkenne man daran, dass er sich die Zeitung in den Urlaub nachschicken lässt. (red, APA, 21.6.2012)