Susanne Vrtala will einzelne allergene Stoffe testen und nicht nur Extrakte. Dafür setzt sie auf Gentechnik.

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STANDARD: Sie arbeiten unter anderem an der Weiterentwicklung eines Chips, der zum Testen von Allergiepatienten eingesetzt wird. Wie funktioniert dieser Chip?

Vrtala: Die allergenen Stoffe werden künstlich hergestellt und auf eine kleine Glasplatte aufgebracht. Im Moment sind das mehr als 100 solcher Substanzen aus den wichtigsten Allergenquellen, von Gräser- und Birkenpollen bis hin zu Hausstaubmilben. Bei letzteren sind zum Beispiel über 20 verschiedene allergene Substanzen bekannt. Mit den Allergenchips testen wir das Blutserum von Patienten. Nur 20 Mikroliter reichen dafür aus. Allergiker haben in ihrem Blut IgE-Antikörper, das sind spezielle Proteine, mit denen das Immunsystem körperfremde Erreger abwehrt.

STANDARD: Was hat es mit diesen Antikörpern auf sich?

Vrtala: Sie binden sich spezifisch an die Allergene. Diese Bindung wiederum kann man mittels Fluoreszenz sichtbar machen. Jedes Allergen hat auf dem Chip eine exakt festgelegte Position. Ein Computerprogramm erkennt genau, wo es leuchtet, an welche Allergene sich also die IgE des Patienten gebunden haben. Diese Technik wurde von einer österreichischen Firma entwickelt. Wir haben durch die Entwicklung von rekombinierten, künstlichen Allergenen dazu beigetragen.

STANDARD: Was sind die größten Vorteile des neuen Testverfahrens?

Vrtala: Man kann jetzt einzelne allergene Stoffe testen und nicht nur Extrakte, die zum Teil eine sehr schlechte Qualität haben und nicht jedes einzelne Allergen enthalten. Dieses Verfahren ist auch gut bei Kindern einsetzbar, weil man nur sehr geringe Blutmengen braucht. Außerdem sind die Ergebnisse viel exakter.

STANDARD: Wie häufig verursachen verunreinigte Extrakte falsche Testergebnisse?

Vrtala: Das ist von der Allergenquelle abhängig. Wir haben uns das für Hausstaubmilben angesehen und mussten feststellen, dass in keinem der überprüften Extrakte alle Allergene vorhanden waren. Bei den Patiententests waren für manche Extrakte bis zu 30 Prozent der Ergebnisse negativ - und somit falsch.

STANDARD: Welcher Mechanismus ist für die Entstehung dieser sogenannten Kreuzreaktivitäten verantwortlich?

Vrtala: Verschiedene Quellen enthalten Allergene, die sich sehr ähnlich sind. Bei manchen dieser Stoffe reagiert der Patient im Test positiv, ist aber nicht gegen diese Substanz allergisch. Eine darauf zielende Immuntherapie hilft dann nicht und ist auch nicht zielführend, weil er beispielsweie nicht gegen Gräserpollen, sondern gegen Birkenpollen allergisch ist.

STANDARD: Und der Einsatz gentechnisch hergestellter, rekombinanter allergener Proteine kann dieses Problem lösen?

Vrtala: Genau. Diese rekombinanten Allergene sollten exakt dieselbe Struktur haben wie die natürlichen Stoffe. Man stellt sie in Bakterien her und kann auf diese Weise schnell große Mengen produzieren, die sich auch einfacher reinigen lassen und sauberer sind als Substanzen, die man aus Pollen und dergleichen extrahieren würde.

STANDARD: Wann wird der Allergiechip voraussichtlich zur allgemeinen Anwendung kommen?

Vrtala: Die Methode ist technisch schon ausgereift und wird bereits verwendet, das Problem aber ist: Die Krankenkassen zahlen die Kosten nicht. Man muss selber dafür aufkommen. Viele Allergieambulatorien bieten den Chiptest deshalb gar nicht erst an. Der Patient muss speziell danach fragen, und es ist außerdem schwierig, ihn zu bekommen.

STANDARD: Die Anzahl der Allergiker nimmt ständig zu. Wo sehen Sie die Ursachen für die Epidemie?

Vrtala: Es kommen jedes Jahr andere Theorien. Im Moment ist die Hygiene-Hypothese aktuell. Ihr zufolge sei zu viel Sauberkeit während der Kindheit schädlich, weil das Immunsystem dadurch nicht ausreichend trainiert würde. Auch die Ernährung könnte eine Rolle spielen, aber niemand kennt eigentlich die genauen Ursachen dafür. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 20.6.2012)