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Scharf in die Ferne sehen lässt sich trainieren. Ähnlich wie in dieser Darstellung funktioniert auch die Brockschnur, die fürs Sehtraining verwendet wird.

Mit rund 80 Prozent der bewussten Gesamtwahrnehmung des Menschen ist das Auge unser wichtigstes Sinnesorgan. Als optisches Präzisionswerkzeug funktioniert es ähnlich wie eine Kamera: Das aufgenommene Bild wird durch die Hornhaut, die vordere Augenkammer, durch Pupille und Linse in den Glaskörper geleitet. Optimalerweise werden die Lichtstrahlen exakt in der Fovea centralis (Sehgrube) der Netzhaut gebündelt und über den Sehnerv zum Gehirn gesendet. Erst dort werden die Daten verarbeitet - und ein Bild entsteht.

Während für unsere Urvorfahren das Überblicken weiter Distanzen von essenzieller und existenzieller Bedeutung war, schauen die Menschen heutzutage eher in kurzen Distanzen, auf die Displays von Computer und Handys zum Beispiel. Die Folge: Stundenlanges Verharren vor Bildschirmflächen hemmt mit der Zeit die Flexibilität der Augenmuskulatur sowie die Elastizität der Linse.

"Nahezu jeder zweite Österreicher leidet an Fehlsichtigkeiten aus verschiedenen Ursachen", sagt Gabriele Fuchsjäger-Mayrl von der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie am Wiener AKH.

Formen des Schlechtsehens

"Dabei machen Kurzsichtigkeit (Myopie), Weitsichtigkeit (Hyperopie) und in Kombination Stabsichtigkeit (Astigmatismus) im Bereich der behobenen Fehlsichtigkeiten den größten Anteil aus", so Fuchsjäger-Mayrl. Bei der Myopie findet sich eine zu hohe Achsenlänge des Augapfels (Bulbus), wobei die Lichtstrahlen nicht auf, sondern vor der Netzhaut zusammentreffen und das produzierte Bild in der Folge unscharf erscheint. Von der Weitsichtigkeit (Hyperopie) spricht man, wenn sich die einfallenden Lichtstrahlen ohne optisches Korrektionsmittel erst hinter dem Auge treffen. Sie wird häufig unbewusst kompensiert und kann die Ursache für Kopf- und Nackenschmerzen sein. Bei der weitverbreiteten Stabsichtigkeit (Astigmatismus) bricht sich dagegen das Licht über zwei unterschiedliche Achsen und kann vom Auge nicht entsprechend als scharfes Bild fokussiert werden.

Da die Elastizität der Augenlinse mit zunehmendem Alter fortschreitend nachlässt, tritt ab etwa dem 40. Lebensjahr die sogenannte Altersweitsichtigkeit (Presbyopie) auf. Im höheren Alter ist die Presbyopie mit 95 Prozent die häufigste Fehlsichtigkeit. 86,6 Prozent können ihre Beeinträchtigung durch das Tragen einer Brille, von Kontaktlinsen bzw. durch einen operativen Eingriff (refraktive Chirurgie) beheben.

Und es gibt Sehtrainings. Sie umfassen alle Arten von Übungen, um den Augenmuskel zu trainieren. Umgangssprachlich werden sie als Augen- oder Visualtraining bezeichnet.

Ein gängiges Trainingsmittel stellt die Brockschnur dar. Drei verschiedenfärbige Kugeln sind in bestimmten Abständen (10, 25 und 45 cm) daran aufgefädelt. Der Übende hält sich ein Ende an die Nasenspitze, das andere Ende hält ein Gegenüber. Beim Fixieren der nahesten Kugel werden die beiden anderen "doppelt" gesehen: Der Patient beginnt zu schielen. Durch diese Konvergenzübung soll er diesem Impuls durch exakte Fixation einer Kugel entgegensteuern. Ziel der Übungen: das Zusammenspiel von Akkomodation (Anpassungsfähigkeit der Linse) und Konvergenz (Augenbewegung) zu verbessern und Tiefenlokalisation (räumliche Wahrnehmung), Fixation (Scharfstellung der Linse) und Fixationszeit sowie Augenbeweglichkeit zu trainieren. Monokulare und binokulare Sehübungen stellen Möglichkeiten der optometrischen Versorgung bei jenen visuellen Defiziten dar, die nicht nur auf einem Brechungsfehler des Auges beruhen.

Training für Spitzensport

"Sehen hat viele verschiedene Komponenten", sagt Walter Gutstein, Visualwissenschafter der Cardiff University und Fakultätsmitglied der Salus University Pennsylvania for Optometry. "Man muss ganz genau unterscheiden, was trainierbar ist und was nicht." Die Wahrnehmung des äußeren, peripheren Gesichtsfelds (bis zu 20 Grad) beispielsweise wird bei Spitzensportlern oder Formel-1-Piloten in der Regel durch gezielte Übungen geschärft; auch der begnadete Spieler nimmt einen mit 100 km/h heransausenden Baseball durch den bloßen Blick nicht ohne entsprechendes Training wahr. "Aber auch die Verminderung von Handicaps stark sehbehinderter Menschen wird durch Maßnahmen der Visualtherapie unterstützt, denn die Betroffenen lernen, mit ihrem Umfeld umzugehen und sich generell besser zu orientieren", sagt Gutstein.

Nicht zu verwechseln ist ein Sehtraining mit der Behandlung von Erkrankungen, vielmehr ist es das Training von natürlichen Fähigkeiten zur Optimierung visueller und zerebraler Funktionen. In der sogenannten Neuro-Vision- Technologie, die seit zwanzig Jahren in Australien entwickelt wird, können mit individuellen Lernprogrammen, basierend auf visueller Stimulation, die neuronalen Verbindungen der Sehrinde im Gehirn trainiert werden. Dadurch kommt es zu einer Verbesserung des Sehens bei Kurzsichtigen sowie bei Weitsichtigkeit im frühen Stadium - wie eine Studie des Ophthalmologischen Instituts der Universität von Kansas City ergab. "Ein weiteres Beispiel für ein derartiges Augentraining ist das visuelle Training zur Verbesserung der raumzeitlichen Auflösung bei Spitzeneishockeyspielern", sagt Fuchsjäger-Mayrl, "allerdings führt das bereits weit hinein in den Bereich der Neurologie, da es sich um ein Training der Reizverarbeitung im Sinne eines neuro-kognitiven Verfahrens handelt." (Sigrit Fleisz, DER STANDARD, 18.6.2012)