Chefkoch Zhang Fa Jun bietet Delikatessen-Hardcore von solch ausgewogener Finesse, dass man nie aufhören möchte zu essen. Scharf ist es aber schon - und wie!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Gebratene Schweinsnieren.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Restaurant hat nackte Wände, wird vom Energiesparlicht eher grell ausgeleuchtet, bietet aber komfortable Freischwinger. Die Deko nimmt man sich am besten selbst mit - in Form abenteuerlustiger Mitesser. Für einen romantischen Abend à deux empfiehlt sich das No. 27 in Wien-Landstraße eher nicht. Von der wenig anheimelnden Atmosphäre abgesehen liefe man dann nämlich Gefahr, sich nicht erschöpfend durch die Speisekarte fressen zu können. Und das wäre kaum entschuldbar - und zwar vor dem eigenen Gaumen.

Wie stets beim Asiaten gilt auch hier: Wer teilt, hat mehr vom Essen. Wer mit möglichst vielen teilt, der ist überhaupt im Himmel. Betreiberin Sun Yi Hui hat sich mit Zhang Fa Jun nämlich einen sichuanesischen Koch von solch überschwänglichem Talent geangelt, dass ein Abend in ihrem spartanisch ausgestatteten Lokal gar nicht anders kann, als zum Festmahl zu werden.

Schärfste Hingabe

Sichuan-Küche gilt als besonders variantenreiche, besonders aufwändig gewürzte und vielleicht beste unter den vielen Spielarten der chinesischen Küche. Die schärfste ist sie auch, und dazu noch eine, die sich den Innereien mit spezieller Hingabe widmet. Das als Warnung vorweg - so leichtfüßig und gefühlvoll wie Meister Zhang sie zelebriert, werden aber auch notorische Angsthasen sie nur als hinreißend empfinden können.

Die ersten Seiten der Speisekarten, auf denen vergleichsweise alltägliche (wenn auch aufmerksam zubereitete) Gerichte der südostasiatischen Küchen sowie die unvermeidlichen Maki-Variationen vermerkt sind, dürfen geflissentlich ignoriert werden. Bei "Original Chinese Food" spielt dann die Musik. Es gibt eine kleine Auswahl handgemachter Dim Sum, von denen Gemüseteigtaschen mit Roter Rübe, Wasserkastanie und Glasnudeln sowie Fleischtäschchen in pikanter Chilisauce besonders gefallen - für mehr war angesichts der anderen Verheißungen diesmal kein Platz.

A blunzn Offenbarung

Dann gebratene Pfefferoni in würziger Pfeffersauce, unheimlich vielschichtig, erfrischend, keineswegs so mörderisch, wie es vielleicht klingt. Gebratene Schweinsnieren (Bild links) sind dann ein erstes Highlight, zart, geradezu fluffig weich und auf hinreißende Weise mit den Aromen der Sauce verwoben. Pochierter Schweineblutkuchen mit heißem Chili-Öl mag beim Lesen eine Herausforderung sein, am Gaumen aber ist das in einem von unten beheizten Tontopf servierte Gericht mit knackigen Bambussprossen und einer vor Aroma schillernden Sauce, in der das gestockte Blut in zarten, elastischen Würfeln badet, eine reine, völlig zugängliche Freude. Wer an Blunze Freude hat, könnte dies als Offenbarung erleben.

Gebratene Melanzani schmiegen sich sanft an den Gaumen, sind aber schon wieder berauschend vielschichtig gewürzt (konkret mit Yu-Xiang-Geschmack) - für einen Pausenfüller viel zu gut. Und so geht es weiter in einem fort: damenfaustgroße Krebsscheren mit Ingwer und Frühlingszwiebeln; pochierter Amurkarpfen nach Art des Hauses, wie nicht anders anzunehmen eine Wucht und das teuerste Gericht der Karte, weil die zarten Tierchen erst unmittelbar vor dem Kochen abgeschlagen werden; gebratenes Lamm mit Schwarzkümmel; Kutteln in Sojasauce geschmort.

Wie gesagt: Man könnte ewig so weiteressen, denn die Gerichte sind von einer Leichtigkeit und Würzkraft, die einem die Verdauung schon vorab erleichtert. Und das muss Zhang erst einmal wer nachmachen. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 15.06.2012)