Die Karte der Online-Welt von "Pardus", in dem den Spielern keine expliziten "Quests", also Zielvorgaben, gegeben werden, die sie für bestimmte Errungenschaften erfüllen müssen. 

Foto: Darstellung aus der Studie Understanding mobility in a social petri dish//Szell, Thurner et al, Scientific Reports

Wien - Seit einigen Jahren gibt es etliche Datensätze über die Mobilität von Menschen, etwa Auswertungen von U-Bahn-Netzkarten, Flugreisen oder Handy-Daten. Doch all diese Daten weisen Mängel auf, sind zum Teil nur Ausschnitte der Mobilität, dürfen nicht verwendet werden oder es fehlen Infos über den sozio-ökonomischen Hintergrund der Reisenden. Deshalb fehlt noch ein völliges Verständnis der Regeln von Mobilität in sozialen Systemen. Wiener Wissenschafter haben nun im Online-Spiel "Pardus" quasi eine Petri-Schale für die Untersuchung menschlicher Mobilität gefunden, ein Modell dafür entwickelt und im "Nature"-Open-Access-Fachmagazin "Scientific Reports" veröffentlicht.

"Naturgesetze menschlichen Gruppenverhaltens"

Vor rund sieben Jahren hat der Wiener Physiker Michael Szell das Spiel "Pardus" aus rein spielerischem Interesse online gestellt. In einem futuristischen Universum ringen dabei "Händler, Piraten, Schmuggler und andere Piloten um Wohlstand und Ehre im Weltall", wie es in dem kostenlos zugänglichen Spiel heißt. Seit zwei Jahren analysieren die Wissenschafter des Instituts für Wissenschaft komplexer Systeme an der Medizinischen Universität Wien (MUW) die Terabyte an Daten, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben und die jede Bewegung und jede Handlung der Mitspieler umfassen. Ihr Ziel ist es, Naturgesetze menschlichen Gruppenverhaltens aufzudecken.

"Wie im richtigen Leben"

Für die aktuelle Studie wurden die Bewegungen der mehr als 350.000 Spieler innerhalb von 1.000 Tagen analysiert. "In dem Spiel reisen Personen von einem Sektor in den anderen, das Reisen ist mit Mühen und Kosten verbunden - also wie im richtigen Leben", erklärte Stefan Thurner vom Institut für Wissenschaft komplexer Systeme. Der große Vorteil bei "Pardus": Von den Spielern sind alle Daten, auch jene über den sozio-ökonomischen Status vorhanden, etwa deren virtueller Wohlstand.

Erinnerungspunkte wieder aufgesucht

Laut Thurner bewegen sich die Leute in dem Spiel nach den gleichen Mustern und Gesetzen wie in der Realität, "es ist philosophisch spannend, dass Reisen offenbar nicht an die Wirklichkeit gebunden ist". Wissenschaftlich spannend ist für Thurner das von den Forschern geschaffene Modell, das versucht zu erklären, warum die Menschen auf eine bestimmte Art reisen und nicht anders. "Es gibt Kräfte, die die Leute zurückhalten oder an ein Zentrum binden, sie erinnern sich, wo sie früher schon waren und kommen dorthin zurück, etc.", sagte der Wissenschafter, der gemeinsam mit dem mittlerweile am Massachusetts Institute of Technology (MIT) beschäftigten Szell und anderen Kollegen die Arbeit geschrieben hat. Das Modell stimme dabei gut mit bisherigen Analysen über echte Mobilitäts-Daten überein.

Eingeschränkte virtuelle Mobiliät

Die Wissenschafter beschreiben die Mobilität der Spieler als "anomale Diffusion". Sie reisen in der gleichen Form durch das virtuelle Universum wie sich etwa Erdöl in Sandstein ausbreitet oder Wasser durch einen Schwamm rinnt. Zudem zeigte sich, dass sich die meisten Spieler innerhalb einer Region bewegen und nicht so oft quer durchs Universum reisen. Es sind aber nicht nur die Distanzen, die Mobilität einschränken, sondern auch sozio-ökonomische Schranken.

Es ist aber nicht nur akademisches Interesse, das die Wissenschafter antreibt. Interessant sind die Gesetzmäßigkeiten der Mobilität beispielsweise auch für die Epidemiologie. "Da geht es etwa um die Frage, mit welchen minimalen Maßnahmen man beim Ausbruch einer hochansteckenden Krankheit den Reiseprozess maximal einschränken kann", so Thurner. (APA, 18.6.2012)