Wien - Noch immer steht ein US-Panzer im Garten des irakischen Nationalmuseums. Er soll mit seiner Besatzung jene jahrtausendealten Zeugnisse der Menschheitsgeschichte schützen, die nicht dem angeblichen Kulturraubzug von Teilen der irakischen Bevölkerung vor zwei Monaten zum Opfer gefallen sind - als sich die Alliierten noch einen kolportierten Dreck um die Kulturschätze geschert hätten.

Wenngleich noch heute international große Bestürzung über diesen Kulturfrevel herrscht, so relativieren jüngste Untersuchungsergebnisse den beklagten Schaden an diesem Weltkulturerbe derart, dass das deutsche Feuilleton bereits von der "Kunstraublüge von Bagdad" schreibt.

Die Plünderung des irakischen Nationalmuseums unmittelbar nach dem Fall der Hauptstadt wurde als "Kulturkatastrophe ohnegleichen in der modernen Geschichte" bezeichnet. Bis zu 170.000 Objekte seien zerstört oder verloren, ließen sich Bagdader Museumsleute Mitte April zitieren - allen voran der international renommierte Wissenschafter Donny George Youkhanna, Chef der Forschungsabteilung des Museums. Auf Kongressen und Expertentagungen in London und andernorts bestätigte Youkhanna diesen angeblich katastrophalen Verlust mehrmals. Mit Tränen in den Augen sprach er sogar - die Geschichte vorwegnehmend - vom "Verbrechen des Jahrhunderts". Und wer sei schuld? Die Alliierten natürlich! Hätten diese nicht das Erdölministerium, sondern eben das Museum geschützt, hätte es keine Plünderung gegeben.

"Go in, Ali Baba!"

Mehr noch: Ein deutscher Altorientalist streute gar die Behauptung, die Amerikaner hätten selbst Schätze aus dem Museum geholt und dann den Mob ermutigt, zuzugreifen - "Go in, Ali Baba!" Dass dieser Experte als Vorsitzender der Deutsch-Irakischen Gesellschaft gute Kontakte zum gestürzten Regime hatte, interessierte kaum jemanden. Am Ende war sogar vom "kulturellen Völkermord" die Rede.

Dann begann es: fortlaufend gute Kulturnachrichten aus Bagdad. Angeblich geraubte Kunstschätze tauchten plötzlich wieder auf - DER STANDARD berichtete. Warum? Die Kustoden des Museums hatten getan, was Kustoden in Vorkriegszeiten tun: die wertvollen Stücke möglichst sicher ein- und auszulagern. Aus dem Keller der Nationalbank wurde der "Schatz von Nimrod" geborgen - das Gold eines assyrischen Herrschers aus dem neunten Jahrhundert vor Christus. Auch Zehntausende von griechischen und römischen Münzen konnten in gesicherten Depots des Museums wiederentdeckt werden. Noch im Mai waren 40.000 Manuskripte und 700 weitere Artefakte sichergestellt worden. Und vor wenigen Tagen tauchte auch die berühmte "Vase von Warka" wieder auf, ein fünftausend Jahre altes Alabasterrelief aus Uruk und eines der wertvollsten Stück des Museums. Von den etwa 8000 wertvollsten Exponaten des Bagdader Museums fehlen heute nur noch 47, nach anderen Angaben 32 Stück. Der Verlust aus den Depots wird auf mehr als zweitausend Objekten geschätzt. Von den Amerikanern.

Diese wollen auch wissen, warum Donny George Youkhanna von 170.000 verlorenen Objekten gesprochen hatte - und den Alliierten die Schuld dafür gab: Der Wissenschafter soll mit der Baath-Partei und dem Geheimdienst des gestürzten Diktators Saddam Hussein enge Verbindungen gepflegt haben. (fei/DER STANDARD; Printausgabe, 24.06.2003)