Die Linke hat ihr Plansoll im ersten Durchgang der französischen Parlamentswahlen erfüllt: Mit 40 Prozent der Stimmen können Sozialisten und Grüne dank des Mehrheitswahlrechts am kommenden Sonntag allein eine Mehrheit in der 577-köpfigen Nationalversammlung erobern, ohne auf die eurokritische "Linksfront" von Jean-Luc Mélenchon angewiesen zu sein. Der im Mai gewählte Staatschef François Hollande kann damit sein Regierungsprogramm ohne größere parlamentarische Hindernisse in die Tat umsetzen.

Jubelchöre waren aber am Montag am Sitz des Parti Socialiste nicht zu hören. In Frankreich war, wie die rekordverdächtig tiefe Stimmbeteiligung von 57 Prozent zeigt, die ganze Wahl von großem Desinteresse der Wähler gekennzeichnet. Nur der rechtsextreme Front National und der Front de Gauche sorgten in Wahllokalen für Zwischenfälle. Von Griechenland bis Frankreich mehren sich unschöne Szenen an den politischen "Außenfronten". Eher beunruhigend eine Woche vor den Wahlen in Athen und der Wahlentscheidung in Paris.

Nicht nur deshalb feierten die französischen Sozialisten ihren Wahlsieg sehr zurückhaltend. Sie wissen, dass auf sie und Frankreichs Bürger harte Zeiten zukommen. In den vergangenen Wochen hatte Hollande noch rasch ein paar Wahlversprechen per Dekret umgesetzt, darunter die Rückkehr zum Pensionsalter von 60 statt 62 Jahren für Langzeitarbeiter. Nach den Wahlen muss die Regierung ans Eingemachte gehen. In Frankreich stehen unpopuläre Steuererhöhungen an, vermutlich auch schmerzhafte Strukturreformen.

Frankreich schlittert in Rezession

Und das vor einer zunehmend düsteren Konjunkturentwicklung: Die Banque de France hat am Wochenende bekanntgegeben, dass die französische Wirtschaft im zweiten Quartal in eine Rezession schlittern werde. Für die Regierung bedeutet das noch weniger Einnahmen, zumal der französische Anteil an der Bankenrettung in Madrid theoretisch 20 Milliarden Euro beträgt. François Hollande wird deshalb gleich nach seinem Parlamentswahlsieg unter großen Druck geraten. Zugleich pocht Berlin auf die Einhaltung seiner Budget- und Sparversprechen.

Der französische Präsident fügt sich aber nicht so schnell in sein Schicksal. Er versucht nun, Angela Merkel selbst in die Zange zu nehmen: Am Mittwoch empfängt er in Paris seine deutschen Freunde Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück - also jene drei SPD-Spitzenpolitiker, auf die Merkel angewiesen ist, wenn sie den EU-Fiskalpakt mit Zweidrittelmehrheit verabschieden will.

Die deutschen und französischen Sozialdemokraten werden dabei vereint Druck auf die CDU-Kanzlerin machen, mehr Wachstums- und weniger Sparkurs zu betreiben. Hollande will sich damit innenpolitisch mehr Spielraum verschaffen. Mit dem Genossentreff im Élysée nimmt er aber auch Rache an Merkel, die früher auf seinen Rivalen Nicolas Sarkozy gesetzt hatte und ihn - Hollande - in Berlin nie auch nur empfing.

Damit dreht der Franzose den Spieß um. Aber Angela Merkel will sich das Heft vor den Bundestagswahlen natürlich auch nicht aus der Hand nehmen lassen. Sie und Hollande werden in nächster Zeit nicht am gleichen Strick ziehen. Dabei müssen sie aufpassen, dass aus dem stockenden Mit- kein Gegeneinander wird. Die Eurozone würde es nicht verkraften. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 12.6.2012)