Martin Wallner setzt auf Tempo, aber auch auf Loyalität.

Foto: Samsung

Wie der Alltag bei Samsung Electronics aussieht, erzählt der frischgebackene IT- und Mobile-Chef Martin Wallner. Seit 1. Juni führt er diese Sparte im Raum Österreich, Schweiz und Slowenien. Der neue Direktor, der zuvor schon die Sparte Telecommunications verantwortete, ist nun Chef von rund 70 Mitarbeitern unter südkoreanischer Führung von Vice President SangHo Jo. 

derStandard.at: Seit Jänner hat Samsung Electronics Austria einen neuen koreanischen Vice President. Was bedeutet das für das lokale Management-Board?

Wallner: Ein neuer Chef ist immer spannend. Der Unterschied zu früher ist aber schon eklatant. Ich habe in der Zwischenzeit meinen dritten koreanischen Präsidenten, und der Managementstil spiegelt schon wider, wie sich die gesamte Firma entwickelt. SangHo Jo hat jetzt mit Abstand den europäischsten oder westlichsten Stil, den ich bisher erlebt habe. Es gibt völlig neue Sprüche: Die Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt, Corporate Culture und nicht mehr nur Umsatzzahlen und Marktanteile. 

derStandard.at: Spiegelt sich das auch in der internen Organisation und Managementpraxis wider?

Wallner: Ja. Es gibt jetzt Mitarbeiterentwicklungsprogramme, das Office wird demnächst umgebaut. Der Kampf um die besten Köpfe der Branche ist jetzt Thema. Das war früher überhaupt nicht so. Es war eher schwierig, die besten Köpfe von Samsung zu überzeugen. Der Brand und zweitens die Marktposition machen das jetzt einfacher. Aber auch, dass wir jetzt nicht mehr den Ruf der asiatischen Legebatterie haben. Nachwuchsführungskräfte hat man sich früher eingekauft, sie sehr gut bezahlt. Die Loyalität ist aber eine andere, wenn man sich aus vollem Herzen entscheidet und stolz ist auf seine Company. Früher musste ich - auch was meine Mannschaft betrifft - durchaus Überzeugungsarbeit leisten. Heute ist es schon so, dass wir uns die Leute aussuchen können.

derStandard.at: Spürt man diese Offenheit auch im koreanischen Headquarters?

Wallner: Auch das koreanische Headquarters hat heute Kooperationen mit allen großen Universitäten dieser Welt, die Leute kommen vom MIT in Boston und Harvard. Wir sind mittlerweile die größte Elektronikfirma der Welt. Um das zu bleiben - auch in der neuen Google- und Facebook-Welt -, muss man sich öffnen und die hellsten Köpfe ins Headquarters nach Korea holen. Man erfindet nicht alles selbst im Suppentopf.

derStandard.at: Zieht so ein Umdenken auch Umstrukturierungen im Human-Resources-Bereich nach sich?

Wallner: Samsung Electronics Austria hat in Summe 300 Mitarbeiter, vor fünf Jahren waren wir 70. Wir haben uns also vervierfacht. Wir haben daher auch eine neue HR-Senior-Managerin bekommen. Ziel ist es, Programme aufzubauen, die es in anderen Firmen mit entwickelten HR-Abteilungen schon gibt. Mitarbeiter sollen entwickelt werden - mit besonderem Augenmerk auf die Nachwuchsführungskräfte.

derStandard.at: Wird es auch ein neues Büro geben?

Wallner: Wir haben jetzt ein Großraumbüro und starten im Sommer mit dem Umbau. Wir wollen offene Kommunikationsstockwerke schaffen, wo sich die Mitarbeiter aussuchen können, wo sie heute sitzen wollen, aber auch flexible Meetingräume, wo man sich zurückziehen kann.

derStandard.at: Sie haben viele koreanische Mitarbeiter. Wie funktioniert die alltägliche Zusammenarbeit?

Wallner: Man braucht als Führungskraft sowieso ein gewisses Gespür für Menschen, muss sich auf den Sessel des anderen setzen können. Für die Koreaner ist es auf der einen Seite eine Chance, nach Österreich zu kommen - mit Familie und Kindern. Sie genießen hier ihr Leben, die Kinder gehen in die International School. Auf der anderen Seite müssen sie hier erfolgreich sein: Versagen sie bei Auslands-Assignments, müssen sie retour. 

Unser lokales Management ist verantwortlich für die Organisation, die Mitarbeiterführung. Die koreanischen Mitarbeiter - das sind bei uns rund zehn Prozent - bekommen strategische Vorgaben aus ihrem Headquarter. Als lokaler Manager muss man eben immer diese zwei Welten verstehen. Da einen Mittelweg zu finden ist meine größte Aufgabe. Die Marschrichtung ist aber, die Anzahl der koreanischen Mitarbeiter langsam zu reduzieren, wenn es ein starkes lokales Management gibt.

derStandard.at: Müssen Sie manchmal auch Dolmetsch spielen?

Wallner: Ja, ab und zu schon, und das nicht nur sprachlich. Vor fünf Jahren hatten die koreanischen Mitarbeiter noch recht gewöhnungsbedürftiges Englisch, das ist jetzt deutlich besser geworden. Die Koreaner belegen bei uns nicht nur Managementfunktionen, sondern arbeiten auch im Supply-Chain-Management, sprechen mit den Fabriken, weil es dort Menschen gibt, die wirklich kein Englisch sprechen. Sie halten auch Telefonkonferenzen um 4 Uhr in der Früh ab. Die Koreaner bleiben zwei bis drei Jahre in Österreich, die Dispatcher (verantwortlich für einen reibungslosen Kommunikationsfluss zwischen Europa und Headquarter) haben Fünf-Jahres-Expats-Verträge. 

Zum besseren Verständnis bieten wir auch Koreanischstunden für die Österreicher an, die Sprache ist angeblich nicht schwierig. Ein paar Sätzen tragen schon zur gegenseitigen Sympathie bei, etwa grüßen zu können. Wir schicken auch junge Leute für zwei Wochen ins Headquarter ohne wirklichen Auftrag, damit sie die Kultur kennenlernen können. 

derStandard.at: Ist es für die koreanischen Mitarbeiter ein Karriereschritt, wenn sie in Europa waren?

Wallner: Wenn sie erfolgreich waren, schon. Eine übliche Karriere sieht für sie so aus: erfolgreicher Dispatcher im Ausland, dann zurück ins Headquarter, dann eine größere Region aus der Zentrale übernehmen. Sind sie dann noch mal erfolgreich, werden sie noch einmal ins Ausland geschickt - dann eben als President.

derStandard.at: Wie gehen die Koreaner mit dem gewaltigen Kulturunterschied um?

Wallner: Der Kulturclash ist für die Kinder am schlimmsten. Der Leistungsdruck in den koreanischen Schulen ist nicht vergleichbar mit dem, was wir hier tun. Laut einer Studie spielt ein österreichisches Kind im Schnitt dreieinhalb Stunden pro Tag, ein koreanisches 23 Minuten. Kommen sie aus Österreich zurück, brauchen sie oft ein, zwei Jahre, bis sie das verarbeitet haben. Außerdem sind in der konfuzianischen Gesellschaft Oma und Opa von beiden Seiten jedes Wochenende angesagt. 

derStandard.at: Wo liegt am ehesten Konfliktpotenzial?

Wallner: Nicht in den Umgangsformen. Bevor die Koreaner entsendet werden, bekommen sie einen zweimonatigen Kurs, wo sie auf unsere Umgangsformen eingestellt werden. Sie verzichten hier auf koreanische Ehrerbietungen. Der heutigen Generation, die da kommt, ist das völlig egal. 

Am ehesten bringt diese Leistungsbereitschaft, die von einem Koreaner vorausgesetzt wird, Konfliktpotenzial. Die Firma ist Familie. Es gibt Koreaner, die bis zu 2.300 Stunden im Jahr arbeiten, ein durchschnittlicher Österreicher arbeitet 1.600 bis 1.700 Stunden. Bei Samsung gibt es eigentlich keine Deadlines. Kommt eine Anfrage, heißt das immer: Bearbeitung per sofort. Packt man da am Abend gerade seine Tasche und will gehen, kann es sein, dass der koreanische Dispatcher leicht fassungslos bei mir im Büro steht und sagt: "Martin, how is that possible?" Es ist auch nicht üblich, dass Mitarbeiter im koreanischen Headquarter im ersten Jahr Urlaub haben.

Heute entwickelt sich Samsung in die richtige Richtung, die Mitarbeiter werden immer wichtiger, ohne dass wir auf diese Stärke der Schnelligkeit verzichten wollen. Das ist auch ein Faktor des Erfolgs. 

derStandard.at: Weisen Sie auf das Arbeitstempo in Vorstellungsgesprächen hin?

Wallner: Natürlich. Wir arbeiten stundenmäßig auch nicht mehr als andere Konzerne, aber was den Speed oder die Flexibilität betrifft, erwarte ich mir das in Österreich auch. Es kann nicht sein, dass nur die andere Seite der Erdkugel so flexibel ist. Kommt heute ein Anruf, steige ich morgen in den Flieger. Das wird erwartet und auch honoriert.

derStandard.at: Wird der nächste Vice President in Österreich ein lokaler Manager werden?

Wallner: Seit einem halben Jahr läuft so ein Test in England und Ungarn. Ich glaube, auch in Österreich wird der nächste President ein lokaler sein. (Marietta Türk, derStandard.at, 11.6.2012)