Die dunklen Flecken markieren die Stelle, wo  drei Aufständische erschossen wurden. "Sie schafften es nicht über die Straße", laut Zeugen.

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Captain Charles Spears vor der Gedenkstätte am Flugfeld für die Gefallenen der Forward Operating Base Salerno.

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Szenerie des Krieges: Hier wurde bei einem Angriff vergangene Woche ein Aufständischer erschossen. Forward Operating Base Salerno, Khost Provinz.

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Der Flug von Bagram zur Forward Operating Base Salerno, einem US-Stützpunkt in der Provinz Khost und nur 20 Kilometer von der pakistanischen Grenze entfernt, hob pünktlich ab. Im Bus zur Transportmaschine (eine C-130 Herkules) unterhielt ich mich mit einem Major, dem Chef einer Ergotherapie-Einheit. In Salerno befindet sich ein erstes Auffangzentrum für Soldaten mit Gehirnverletzungen. Er versicherte mir, dass in den letzten Jahren die Überlebenschancen bei Verwundeten mit Gehirnverletzungen enorm gestiegen seien. Die Konversation zweier Soldaten konnte ich kaum überhören : "Hey, bist du in der xx-Mörserabteilung?", "Ja!" "Ihr habt das letzte mal in unseres Operationsgebiet gefeuert ihr Idioten!" "Whatever!", war die Antwort des Kanoniers.

Der Flug verlief ruhig bis auf die Landung. Die Maschine setzte hart auf der staubigen Landepiste auf und bremste wegen der kurzen Landebahn so stark ab, das ich fast meinen Nachbarn meinen Kevlarhelm ins Gesicht schlug. Die Ankunft am Flughafen war gespenstisch. Die Laderampe wurde schnell hinuntergelassen, die Soldaten sprangen auf und in schnellen Schritt marschierten wir in einem großen Halbkreis um die Maschine herum an den Rand der Rollbahn in Richtung Tower. Wir wurden von einem Soldaten mit einer roten Lampe geleitet. Der Stützpunkt war komplett verdunkelt.

Private First Class Vincent Ellis

Am Tower angekommen, wartete bereits Captain Spears, der Public Affairs Officer der Task Force Spartan, und begleitete mich in meine Unterkunft. Ich konnte mich in der Dunkelheit nur schwer orientieren. Erst am nächsten Tag bemerkte ich, dass viele Gebäude von Granatsplittern getroffen waren. Eine Gruppe von Talibankriegern, vermutlich des Haqqani-Netzwerkes, hätten vor wenigen Tagen einen Bus gefüllt mit Sprengstoff nahe des äußeren Verteidigungsringes gesprengt und versucht den Stützpunkt zu stürmen, erklärte man mir auf Nachfrage. Während des Angriffes wurde ein "bestimmte Anzahl" (mir wurde gesagt, dass ich die genaue Zahl nicht nennen darf) an Amerikanern verwundet, ein Soldat, Vincent Ellis, erlag später seinen Verletzungen.

Private First Class Vincent Ellis, war nur zufällig auf dem Stützpunkt gewesen, um sich wegen einer Knieverletzung im Krankenhaus behandeln zu lassen. Wie die meisten Patienten des Krankenhauses sei er nach der Explosion in den nächsten Bunker gelaufen. Als allmählich klar wurde, dass es sich nicht "nur" um einen Bombenanschlag, sondern um einen regelrechten Angriff handelte, habe er sich seine kugelsichere Weste umgeschnallt, das Sturmgewehr eines im Bunker kauernden Soldaten ergriffen und sei dem Gefechtslärm entgegengelaufen. Er habe einen der Aufständischen erschossen und einen zweiten anvisiert, als sich dieser in Panik selbst in die Luft sprengte. Ellis wurde von den Bombensplittern schwer verwundet und starb sechs Tage später in einem amerikanischen Krankenhaus in Deutschland. 

Ausmaß des Angriffes

Später am Nachmittag durfte ich mir das Ausmaß der Zerstörung genauer ansehen. Zwar wurde mir untersagt, über Details zu berichten, doch man konnte noch sehr gut sehen, wo die einzelnen Aufständischen fielen (Foto). Als ich die Szene fotografierte, stoppte ein amerikanischer Soldat mit einem starken asiatischen Akzent mit seinem Fahrrad (sein Wachdienst war gerade vorüber) neben mir. Er war Wachsoldat am Tag des Angriffes und erzählte, dass es keiner der Taliban schaffte , dies Straße zu queren, auf der ich gerade stand und die parallel zum Verteidigungsring verlief: "Mann! Die mussten alle mordsmäßige Gehirnerschütterungen von der Explosion abgekommen haben. Sie torkelten wie Zombies auf die Straße und ließen sich einfach abknallen! Bis auf einen, der klug genug war, sich im Abwasserkanal hier zu verstecken! Denn haben wir aber auch noch gekriegt!" Ich drehte mich um und sah die Einschusslöcher in der Betonwand nahe dem Abflussrohr. Im Hintergrund waren Bagger damit beschäftigt die Überreste einen Gebäudes zu beseitigen.

"Nur" Schießübungen

Auf dem Rückweg zur Unterkunft flog ein Apache-Helikopter über den Stützpunkt. Plötzlich eröffnete er das Feuer in nördliche Richtung. Ich wollte schon zum nächsten Bunker laufen, als ich bemerkte, dass zwei Soldaten 100 Meter vor mir gelassen die Straße überquerten. Ich lief schnell in ihre Richtung und fragte sie was es den mit dem Helikopter so auf sich hat: "Schießübungen ... Keine Panik!" Leicht nervös hat mich die Schießerei trotzdem gemacht.

Zurück im Büro von Captain Spears wurde mir mitgeteilt, dass ich mit einem Blackhawk-Versorgungsflug am nächsten Tag in den Gefechtsvorposten Zormat fliegen könne. Spears gab mir einen Lagebericht zur Situation in der Provinz Paktia, die westlich an die Khost Provinz angrenzt und wo sich der Gefechtsvorposten Zormat befindet. Er zeigte mir verschiedene Karten die die einzelnen Einheiten, Außenposten, Stützpunkte und Versorgungswege in der Region auflisteten.

Ich wollte gerade aufbrechen um zu packen, als ich im Aufenthaltsraum der Baracke zwei Marinesergeants traf, die mich einluden, "etwas mehr über das US-Marine Corps zu lernen". Die Lektion: Der Film "Full Metal Jacket". Aus Höflichkeit schaute ich mir zwei Drittel des Films an und ging dann. Es war bereits stockdunkel. Einer der Marines begleitete mich freundlicherweise mit seiner rot leuchteten Taschenlampe. Ich fragte ihn was er vom Krieg hier halte: "Politics goes out the window, once the shooting starts, ours is not to reason why but to do and die!" Dass ein Marine mir Alfred Tennyson ("Charge of the Light Brigade") zitierte, wirkte auf mich leicht theatralisch. Trotzdem war ich in der Dunkelheit sehr dankbar für Gesellschaft. (Franz-Stefan Gady, derStandard.at, 11.6.2012)

 

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