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Skydiver Felix Baumgartner will im freien Fall aus 36.000 Meter Höhe die Schallmauer durchbrechen.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Wien - Das Streben nach Höchstleistungen treibt Menschen in Extremsituationen, die oft lebensgefährlich sind. Vergangenen Mittwoch brachte sich der Apnoe-Taucher Herbert Nitsch in Santorin in eine gefährliche Lage. Nach einem Weltrekordversuch, bei dem er ohne Sauerstoff eine Tiefe von 244 Metern erreichte, musste er in ein Krankenhaus in Athen gebracht werden. Doch bei allem Risiko: Der Drang nach Leistung ist menschlich, so Sabine Würth, Assistenzprofessorin der Arbeitsgruppe Sportpädagogik, -psychologie und -soziologie der Universität Salzburg.

"Sich von den anderen abheben zu wollen, ist in einem gewissen Rahmen normal und ohne diese Eigenschaft wäre die Menschheit nicht da angekommen, wo sie jetzt ist", lautet Würths Erklärung für den Mut zum Risiko. Trotzdem implizieren sportliche Höchstleistungen oft Todesgefahr und können tragisch enden. Mit dem Leben bezahlen musste im März dieses Jahres der steirische Extrembergsteiger Gerfried Göschl seinen Versuch, den Hidden Peak in Pakistan zu besteigen. Felix Baumgartner, der im Sommer 2012 mit seinem angekündigten Versuch, als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer zu durchbrechen, Geschichte schreiben will, geht dafür gewisse Risiken ein.

Bewertung ist individuell und subjektiv

Die Wahrnehmung des Risikos beschreibt Würth als "ein Spiel zwischen der Person, ihrer eigenen Kompetenzwahrnehmung und der jeweiligen Situation". Die Bewertung des Extrems ist also eine individuelle sowie subjektive. "Es gibt Weltklasseschwimmer, die nicht in einem offenen See schwimmen würden, weil ihnen das zu gefährlich scheint." Wie weit man zu gehen bereit ist, ist auch abhängig vom sozialen oder medialen Druck. Das "Übertreiben" des Risikos in Form einer sportlichen Aktivität im Grenzbereich hat dabei positive emotionale Begleiterscheinungen, fachsprachlich als "Flow" bezeichnet.

Doch Sport kann zu einer Droge werden, man spricht da von einer sogenannten "Exercise Addiction", einer nicht substanzabhängigen Sucht, sondern der Sucht nach Bewegung, die teils zwanghafte Züge annehmen kann. Die Expertin unterstreicht, dass dies auch in anderen Bereichen beobachtet wird, etwa in der Internetsucht. Ebenso sind hier nicht nur Extremsportler, sondern auch Breitensportler betroffen.

Frage des Selbstwerts

"Overconformity", zu Deutsch in etwa "Überangepasstheit", ist dabei ein Konzept, mit dem die übertriebene Verausgabungsbereitschaft beschrieben wird. "Vom Sportler erwartet man, dass er Opfer bringt und dass er sein Bestes gibt", beschreibt Würth die Ausgangslage. Gefährlich wird es, wenn man diese übererfüllen will. Die Motivation dies zu tun, ist laut der Expertin eine Frage des Selbstwerts. "Wir tun das, weil wir Gratifikation wollen. Wenn die Anerkennung als unzureichend wahrgenommen wird, kann so ein Teufelskreis ausgelöst werden." Vor allem engagierte, übermotivierte Athleten können davon betroffen sein, wenn sie sich ausschließlich über ihre Rolle als Sportler definieren. "Wir wollen Helden. Besonders jene gehen in die Annalen der Sportgeschichte ein, die ihr Ziel verletzt erreichen", erläuterte Würth die dunkle Seite der heroischen Medaille, die Sensationsgier.

"Mitnichten haben alle Sportler, die Höchstleistungen erbringen wollen, persönliche Probleme", wehrt sich Würth dabei gegen eine Pauschalisierung. Ebenfalls beschränkt sich das Konzept "Overconformity" keineswegs auf Extremsportler, denn auch Breitensportler und im Berufsleben finden sich Menschen mit der Bereitschaft, ihre Grenzen auszutesten. "Sportler, die nicht aufhören können, finden sich auch bei den Freizeitsportlern. Männer ab 50 Jahren aufwärts, die beruflich schon ihren Zenit überschritten haben und eine neue Betätigung etwa im Marathon suchen", nennt sie da als Beispiel für Menschen, die mehr oder weniger im Verborgenen Tendenzen entwickeln, die gesundheitlich riskant sind. (APA, 8.6.2012)