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Das therapeutische Angebot einer Legasthenie ist vielfältig.

Foto: Reuters/Thierry Roge

Wien/Salzburg - Um flüssig zu lesen, braucht es nicht nur die Fähigkeit, ein Wort nach dem anderen zu verarbeiten. Es braucht auch einen neuronalen Prozess, der die Verarbeitung des jeweils nächsten Wortes vorbereitet. Der Erforschung dieser sogenannten "parafovealen Vorverarbeitung" nehmen sich nun Neurowissenschafter der Universität Salzburg an. Neue Erkenntnisse zu den bisher wenig erforschten Abläufen könnten dabei helfen, mehr über die Legasthenie (Dyslexie, Anm.Red.), und die Wirksamkeit von Therapieprogrammen in Erfahrung zu bringen.

Das Erkennen einzelner Worte nacheinander sei bereits "sehr gut beforscht", wie der kürzlich auf eine Professur im Fachbereich Psychologie an der Universität Salzburg berufene neurokognitive Psychologe Florian Hutzler erklärte. "Wir wissen sehr viel über den Prozess der Worterkennung und über individuelle Unterschiede, also was gute und dyslektische Leser ausmacht".

Über den "ganz zentralen Aspekt" der parafovealen Vorverarbeitung wisse man hingegen noch wenig. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Beginn der Verarbeitung des jeweiligen Wortes, das als nächstes gelesen wird. Etwa 30 Prozent der Wortverarbeitung finde in der parafovealen Phase statt, wie Hutzler ausführte. Es handle sich daher um einen "Schlüssel zum effizienten und flüssigen Lesen". Das zeige sich vor allem, wenn man diese Art der Vorverarbeitung experimentell ausschalte, denn dann breche der normale Leseprozess zusammen - das Lesen wird "sehr mühsam und langsam".

Ganze Sätze präsentieren

Es sei überraschend, "dass man relativ wenig darüber weiß", so der Forscher. Das liege auch daran, dass eine experimentelle Erforschung schwierig sei. Bei der Verarbeitung einzelner Wörter könne man praktischerweise auch auf einzelne Wörter als Untersuchungsreize zurückgreifen. "Wenn ich wissen will, wie man einen ganzen Satz liest, dann kann ich nicht den gesamten Satz auf einmal darbieten". Man müsse den Satz in einzelne Wörter "zerbrechen" und nacheinander am Bildschirm zeigen, um zu wissen wann die neuronale Verarbeitung jeweils beginnt. Diese Methode sei für die Untersuchung der parafovealen Verarbeitung daher "absolut unangebracht".

"Woran wir gerade arbeiten, ist eine methodische Erweiterung, wo die Versuchspersonen einen ganzen Satz auf einmal präsentiert bekommen. Dann lesen sie den Satz, und wir beobachten mittels eines Eye-Trackers ihre Blickbewegungen", so Hutzler. Das bringt die Wissenschafter in die Lage, genau den Moment zu erkennen, an dem die Vorverarbeitung tatsächlich beginnt. Man könne dann in den Daten danach suchen, wann der Denkprozess beginnt und was im Gehirn dabei passiert. Diese Erweiterung "ermöglicht uns das erste Mal, die parafoveale Vorverarbeitung auch mit neurokognitiven Methoden zu messen".

Die Wissenschaftler beschäftigt die Frage, wie es möglich ist, dass zwei Worte gleichzeitig im Gehirn bearbeitet werden. Sie vermuten, dass es sich dabei um eine Art "unbewusste Verarbeitung" handelt, die in den visuellen Arealen im hinteren Teil des Gehirns stattfindet. "Erst wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das Wort lenken, greift unser Gehirn auf diese Regionen zu und holt sich die dort vorbereiteten Informationen", so Hutzler, der betonte, dass es sich dabei um eine Annahme handelt, die es nun experimentell zu untersuchen gilt.

Unüberschaubares Therapieangebot

In weiterer Folge könnte man versuchen herauszufinden, ob die parafoveale Vorverarbeitung bei Dyslektikern systematisch gestört ist. Gerade die Lese-Rechtschreibschwäche sei momentan ein großes Thema. "Am Markt schwirrt sehr viel an Therapiekonzepten für dyslektische Leser herum". Hier handle es sich um Leute in einer Notsituation, die möglicherweise viel Geld für wirkungslose Trainingsprogramme ausgeben. "Wenn wir es schaffen, systematisch auszuschließen, was nicht die Ursachen für Dyslexie sind, können wir sagen, dass man sich diesen oder jenen Therapieansatz sparen kann", so Hutzler.

Die Forscher konnten etwa in der Vergangenheit entgegen häufiger Behauptungen zeigen, dass Probleme bei der Steuerung der Augenbewegungen nicht ursächlich für Dyslexie sind. Darauf basierend raten sie von Trainingsprogrammen ab, die die Augenbewegungen von Legasthenikern trainieren. (APA, 8.6.2012)