Ob es ein Durchbruch wird, kann Rainer Kunstfeld nicht sagen. Da ist der Dermatologe von der Med-Uni Wien vorsichtig. Zu gering sei die Anzahl der Patienten, die bislang behandelt wurden. Zu ungewiss ist, ob der Krebs nachhaltig aufgehalten wird. Zu wenig, weiß man bislang über Nebenwirkungen. Und doch wühlt dieser neue Kandidat die Forschungsgemeinde auf. Denn: Er bekämpft Basalzellkarzinome, wuchernde Hautgeschwüre, bei denen ein bestimmter zellulärer Mechanismus außer Kontrolle gerät.

Das Basalzellkarzinom (BCC - Basal Cell Carcinoma) gehört zur Gruppe des weißen Hautkrebses, der als sehr häufig, aber weitgehend risikolos gilt. Sie beträfen zumeist ältere Menschen jenseits der 60 Jahre und lasse sich recht unproblematisch entfernen, so die vorherrschende Meinung. Das stimmt tatsächlich für die weitaus größte Gruppe der Patienten. "Aber wir beobachten noch einen weiteren Trend: Die Patienten werden jünger, und sie tragen nicht nur eines, sondern viele Geschwüre auf ihrer Haut", sagt Hubert Pehamberger, Leiter der Hautklinik des AKH. Wer an solch einem multiplen BCC erkrankt, hatte bislang einen Operationsmarathon vor sich. "Das sind Menschen, die über Jahrzehnte unzählige Operationen über sich ergehen lassen müssen, ohne die Sicherheit, dass sie heilen", erklärt Kunstfeld. Ganz abgesehen von den Patienten, die am Görling-Goltz-Syndrom leiden, einer Erbkrankheit, die Menschen mit unkontrollierbaren Hautgeschwüren übersät.

Die Ursache der Geschwüre ist allen gemein: Bei ihnen ist ein molekularer Pfad, der der Zelle das Signal zum Wachsen gibt, dauerhaft aktiv. Er heißt "Igel", Hedgehog und wird durch das gleichnamigen Protein angestoßen, das seinen Namen der Fliegenforschung verdankt. Schaltet man bei Fruchtfliegen das dazugehörende Gen aus, wachsen ihnen kleine Borsten. Was man bei der Entdeckung nicht wusste: Hedgehog existiert auch im Menschen. Es kontrolliert gerade in den ersten Wochen einer Schwangerschaft das Wachstum des Embryo. Danach bleibt Hedgehog vorwiegend abgeschaltet. Es sei denn, im Hedgehog-Signalweg treten fehlerhafte Veränderungen auf.

Dann werden unter Umständen plötzlich viel zu große Mengen des Igel-Proteins produziert. Oder der gesamte Signalweg bleibt eingeschaltet - sei es, weil Mutationen die Bindungsstelle dauerhaft aktivieren oder innerhalb der Zelle eine Schaltstelle mit der Abkürzung SMO aus dem Ruder läuft.

Signalüberleitung blockiert

Genau dieses SMO (Smoothened Protein) greift der neue Hemmstoff an und blockiert die Signalweiterleitung höchst effektiv. Denn ganz gleich, wo der molekulare Fehler liegt: Alle Wege laufen über SMO. Die Wirkung ist beachtlich: Bei fast der Hälfte der Patienten mit örtlich begrenzten, aber fortgeschrittenen Basalzellkarzinom schrumpften die Tumoren deutlich. Das Gleiche gilt für ein Drittel der Patienten mit Metastasen.

In einer ersten klinischen Studie 2009 zeigte sich aber ein Problem: Die Krebszellen wurden resistent - allerdings handelte es sich um einen Hirntumore. Daher stellt sich die Frage: Kann der SMO-Blocker wirklich heilen? Kann die Therapie jemals abgesetzt werden? "Derzeit hören wir auf, wenn die Karzinome verschwunden sind", erklärt Kunstfeld. Ob der Wirkstoff nachhaltigen Erfolg hat, wird sich zeigen.

Das wird auch andere Mediziner in Chicago interessieren. Denn Hedgehog spielt bei mindestens drei weiteren Krebsarten, etwa Tumoren des Darms, der Bauchspeicheldrüse oder der Eierstöcke, eine Rolle. So kommt es, dass in diesem Jahr Dermatologen auf dem wichtigsten Krebskongress so wichtig sind wie seit dreißig Jahren nicht mehr. (Edda Grabar, DER STANDARD, 4.6.2012)