Bassist Pete Williams, Chef Kevin Rowland und der musikalische Direktor Mick Talbot bieten auf dem Comeback der Dexys Midnight Runners großes Seelenkino.

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Wien - Angesichts der gerade laufenden Tournee durch seine ihm ewig fremde Heimat überbieten sich die britischen Medien in enthusiastischer Berichterstattung. Mitte Mai sorgte der berüchtigt dünnhäutige Mann mit dem irischen Blut und dem britischen Herzen mit einem souveränen Kurzkonzert in der TV-Musikshow "Later with Jools Holland" für Gänsehaut ebenso wie für Rührung. Wenn Kevin Rowland dieses eine Mal wirklich durchhält, scheint einem späten Karrierehöhepunkt nichts im Weg zu stehen.

Gezählte 27 Jahre nach Kevin Rowlands letztem Album mit seiner längst kultisch verehrten Band Dexys Midnight Runners kehrt der neben Van Morrison zweite Gottvater des "Celtic Soul" spät, aber doch mit den elf Songs von "One Day I'm Going to Soar" auf die Bühnen zurück. Rowland hat sich dafür ewig Zeit genommen.

Zwischen den Dexys Midnight Runners von damals und den Klassikern "Searching for the Young Soul Rebels", vor allem "Too-Rye-Ay" und dem Welthit "Come On Eileen" von 1982 sowie 1985 dem frühen Schwanengesang "Can' t Stand Me Down" und dem Comeback unter dem schlanken Signet Dexys liegen zwar künstlerisch betrachtet keine Welten.

Abgesehen von einer komplett untergegangenen Soloarbeit namens "The Wanderer" von 1988 und dem 1999 katastrophal gefloppten, dennoch herzergreifenden Coverversionenalbum "My Beauty" hatte man Kevin Rowland aber definitiv abgeschrieben.

Größenwahn und Burnout, manische Schübe und Depression, Kokain und Therapien - als ehemaliger Weltstar zwischenzeitlich ein Leben als finanziell restlos ruinierter Hausbesetzer: Der Mann, der mit seiner beseelt näselnden Kopfstimme immer nur über die allergrößten Gefühle, die Liebe als größte Kraft und gleichzeitig deren Unmöglichkeit singt, scheint keine halben Sachen zu kennen. Entweder, oder. Himmelhoch jauchzend, zu Tode bemüht.

Kevin Rowland wandelt mit von irischer Fidelmusik befeuertem afroamerikanischen Soul der 1960er- und frühen 1970er-Jahre über eine sehr schmale Brücke. Darunter droht das irdische Jammertal. Fällt er nach links, herrscht reine Verzweiflung. Fällt er nach rechts, drohen Schmalztopf und Kitsch.

Auch in den Songs von "One Day I'm Going to Soar", das ein Austropopper in etwa mit "Irgendwann werd i fliagn wie ein Adler" übersetzen würde, geht es um Rowlands ewige Themen. Es geht um das Durchhalten im Scheitern, das Auffi-muass-i, das Weiterkämpfen. Wir hören von Abweisung, von verletzten Gefühlen, Selbstmitleid und Selbstbeschwörung. Alles wird gut. Irgendwann. Bitte! "It's OK John Joe!" Weil: "Keep on, keep on!" Und immer wieder singt Kevin Rowland mit seinen 58 Jahren von der Liebe, Liebe, Liebe.

Heile dich selbst

In "Free", einem der besten neuen Lieder, geht es im profanen Gospeldialog mit seinem alten Bassisten Pete Williams trotzdem um die Pärchenlüge, in "Incapable of Love" um Rowlands Unfähigkeit, jemanden so sehr zu lieben, dass sich daraus sogenannte ordentliche Verhältnisse ergeben könnten. An anderer Stelle gibt er sich "verloren", denn: "Nowhere Is Home". Nachdem sich Kevin so fühlt wie E.T. auf der Suche nach einem Telefonapparat, kommt eine kunstvoll im Geiste James Browns gesetzte Pause. Stille. Ist da jemand? Horch, es hebt jemand ab! Und siehe: "I was saved!"

Es sind nicht nur alte Predigertechniken, die man bei den Dexys 2012 hört. Schließlich kennt der musikalische Direktor Mick Talbot aus seiner Zeit mit dem Britpop-Hausheiligen Paul Weller bei den schicken Soulpoppern The Style Council noch mehr Tricks.

Groovende Zeitlupenballaden zwischen Musical und Cocktailbar sind zu finden. In "She Got A Wiggle" funken gemütlich verschleppte und dennoch forsche, mit zart dissonanten Streichern behübschte Beats aus der Schule des Reverend Al Green. In "I'm Always Going to Love You" geht es dann sogar in die Disco. Sängerin Madeleine Hyland leistet beim Boogie auf der Tanzfläche psychoanalytische Hilfestellung.

Öffentliche Therapie als große, alles niederreißende Seelenoper. Wenn man den Patienten nur lange genug reden lässt, wird er sein Problem irgendwann selbst erkennen. Heile dein Leben, heile dich selbst. Es war ein langer, harter Weg zurück ins Leben. "Come on, come on!" (Christian Schachinger, DER STANDARD, 1.6.2012)