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Zumindest die Statue 'Europa' der belgischen Kuensterin May Claerhout hält in Brüssel den lockeren Euro noch hoch.

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Erwin Hameseder (li.) und Thomas Gehrig (re.) diskutierten, Journalist Franz Schellhorn moderierte.

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Rund 80 Personen nahmen an dem Abend der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft und Praxis" der Universität Wien teil.

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Erwin Hameseder ist kein Busenfreund der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) und des Basel-III-Regelwerks. Zu schnell kämen die höheren Eigenkapitalanforderungen, zu unbedarft seien technische Gleichmachereien. Komplizierte Stresstest-Erfordernisse und Bilanzierungsregeln ließen das Backoffice wachsen. "Früher haben wir mehr Vertriebsmitarbeiter angestellt, heute mehr Mathematiker", sagte der Aufsichtsratschef der Raiffeisen Zentralbank (RZB) auf einer Podiumsdiskussion der Universität Wien zum Thema "Finanzmarktregulierung und Bankenaufsicht".

Vom Kredit- zum Zertifikatkaiser

Für Universitätsprofessor Thomas Gehrig sind die Regeln von Basel III hingegen ein Schritt in die richtige Richtung. Hohes Eigenkapital sei historisch oft gleichbedeutend mit hoher Profitabilität gewesen. Abgeschwächt worden sei dieser Zusammenhang erst mit "der Finanzkrise und der darauffolgenden Liquiditätsschwemme der Zentralbank (EZB, Anm.)".

Den Banken wirft Gehrig weniger den Status quo, mehr den Weg, den sie vor der Krise eingeschlagen hätten, vor. So sei bei der Deutschen Bank (DB) Ende 2008 Aktienkapital in der Höhe von rund 32 Milliarden Euro 2.200 Milliarden Euro Aktiva gegenübergestanden. Das macht eine Eigenkapitalquote von gerade einmal 1,45 Prozent. Rund 1.600 Milliarden davon entfielen auf strukturierte Finanzprodukte wie Zertifikate, gerade einmal knapp 300 Milliarden auf vergebene Kredite im klassischen Sinn. Überspitzt formuliert, so Gehrig, sei die DB "gar nicht mehr im Kreditgeschäft".

Zügel bei Kreditvergabe

Genau dabei fühlt sich aber Raiffeisen-Lenker Hameseder nicht angesprochen. Er ist gegen den Shareholder-Value und für das klassische Kreditgeschäft. Die Antwort der Politik auf die Krise sei vielfach die falsche gewesen. Die höheren Eigenkapitalregeln kämen zu schnell, da sei es kein Wunder, dass die Banken ihr Heil in Aktienrückkäufen und Hauruck-Aktienemissionen (UniCredit, Anm.) suchen würden.

Bilanzsummenwachstum sei jedenfalls kein Ziel für die Raiffeisen mehr, eine Kreditklemme hält er für "möglich". Obwohl die Beziehung von Firmen und Banken stimme, werde es den "freien Kreditrahmen für Unternehmen so in Zukunft nicht mehr geben". Sauer stößt ihm auch auf, dass die EU damit wieder die Rechnung ohne die USA mache: "Die USA haben doch vielfach nicht einmal Basel II eingeführt, und auch diesmal werden sie sich teilweise davor drücken."

Bankenpleite leichter gemacht

Besonders ärgerlich sind für Hameseder aber Bankenabgabe und Schuldenschnitt. Erstere verfehle "Sinn und Zweck", werde damit doch ein strauchelnder Konkurrent gestützt (die ÖVAG, Anm.). "Es soll auch die Möglichkeit geben, dass Konkurrenten ausscheiden", so Hameseder, der sich für ein Bankeninsolvenzrecht starkmacht.

Eine Sicht, die auch Gehrig teilt: "Die Insolvenz wird bewusst toleriert." Allerdings findet er die Bankenabgabe, auch aufsteigend nach Größe des Instituts, "prinzipiell gut". Die Förderung von Eigenkapital, auch indem man die steuerliche Begünstigung von Fremdkapital fallen lässt (Zinsen können aktuell abgeschrieben werden, Anm.), hält Gehrig aber für ungleich zielführender: "Eigentlich müsste man es umgekehrt machen und das Eigenkapital steuerlich begünstigen."

Haircut wider Willen

Zweiter Reibebaum für Hameseder ist der "Sündenfall Griechenland". Von freiwilligem Forderungsverzicht sei keine Rede gewesen, "kein Mensch macht das freiwillig". Spätestens seit diesem Zeitpunkt gebe es bei Raiffeisen daher ein "politisches Risiko", das in Staatsanleihengeschäfte eingepreist sei. Und selbst an als sicher geltenden Staatsanleihen hat Hameseder augrund ihrer niedrigen Verzinsung wenig Freude: "Ich zeichne lieber eine Anleihe eines großen Unternehmenskonzerns als Staatsanleihen."

Winds are changing

Dass sich etwas fundamental ändern wird an den Finanzmärkten, darin sind sich Gehrig und Hameseder einig. "Das 'too big too fail' ist oft nur eine Ausrede", sieht der Wirtschaftsprofessor neue ordnungspolitische Zeiten anbrechen. Immerhin sei mit Ausnahme von Lehman Brothers 2008 noch jede vermeintliche Großbank gerettet worden. Der Raiffeisen-Banker sieht auch ein "Umdenken hin zu den Regionen". Die Kreditvergabe vor Ort werde wieder wichtiger werden. Dass ein einzelner Händler Milliarden verzocken kann, wie eben bei J.P. Morgan geschehen, muss für ihn bald der Vergangenheit angehören: "Da hat's irgendwas." (sos, derStandard.at, 30.5.2012)