Wien - Man muss nicht von einem Wunder sprechen, um sein Staunen zum Ausdruck zu bringen. Doch was Edita Gruberová in ihrem 66. Lebensjahr noch immer zu leisten vermag, kann gar nicht genug bewundert werden. Zuletzt gab die "slowakische Nachtigall" im April einen umjubelten Liederabend an der Wiener Staatsoper, wohin sie nun bei einer für sie aufs Programm gesetzten Produktion zurückkehrte.

Vor zwölf Jahren hat ihr Regisseur Silviu Purcarete die Rolle der alternden Elisabeth I. in Gaetano Donizettis Roberto Devereux auf den Leib inszeniert und ist dabei dem Grundsatz gefolgt, dass Belcanto-Oper über weite Strecken stehend gesungen werden darf.

Existenzielle Zuspitzung

Innerhalb dieses statischen szenischen Rahmens transzendiert Gruberovás Darstellung der Partie die scheinbare Selbstgenügsamkeit der beschaulichen Opernwelt und ihres L'art-pour-l'art-Prinzips mit existenzieller Zuspitzung. Und dazu reicht ihr im Grunde die Stimme, die wohl in der Tiefe ein wenig an Resonanz eingebüßt hat, ansonsten aber wendig wirkt wie eh und je. Sie klingt fast mädchenhaft hell, windet sich mit bestechender Leichtigkeit und Präzision durch Koloraturen und zu Spitzentönen, kennt praktisch keinen auch nur im Ansatz wackelnden Ton.

Das müsste so manche, die erst halb so alt sind, aber schon halb ausgesungen tönen, erblassen lassen. Neben dem singulären Format einer solchen Zentralgestalt war es bei der Premiere dieser Wiederaufnahme am Pfingstsamstag für Gruberovás Kolleginnen und Kollegen natürlich nicht gerade einfach, ein ähnliches Profil zu entwickeln.

Dienst an der Sache

So hatte Nadia Krasteva bei ihrem Rollendebüt als Sara zunächst deutliche Schwierigkeiten, das Volumen ihres Mezzos zu dosieren und seine Dramatik im Zaum zu halten, und erreichte erst im zweiten Bild die vollständige Herrschaft über Nerven und Stimme. Auch Tenor José Bros als Titelheld schien seine Kräfte für den dritten Akt zu schonen, näselte zuvor oft verhalten, fand dann allerdings zu brillanter Form.

Restlos souverän wirkte nur der profunde Bassbariton Eijiro Kai mit seinem Debüt als Nottingham, während Evelino Pidò, flexibel begleitend, das Orchester weitgehend unauffällig in den Dienst an der Sache stellte. Der Besuch einer Folgeaufführung kann unabhängig von Vorlieben bei Repertoire und Stil nur empfohlen werden. (Daniel Ender, DER STANDARD, 29.5.2012)