In seiner postapokalyptischen "Neue (schöne) Steinzeit"-Kochshow beweist Götz Bury: Geld kann man doch essen, und man wird es auch essen müssen
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Ein lauer Spätfrühlingsabend in Wien-Ottakring. Götz Burys "Kochstudio" in der Grundsteingasse 15 hat im Rahmen von Soho in Ottakring seine Tür geöffnet. Draußen kann die Welt untergehen, drinnen werden Geldscheine zu Brot verarbeitet, für die Zeit nach dem Weltuntergang. In seinem aktuellen "Performance, Shop & Shelter"-Programm mit dem Titel "Neue (schöne) Steinzeit" liefert der Künstler seinem Publikum Anregungen für ein Leben nach der Zivilisation, denn: "Spüren Sie es schon?", fragt er, "die Apokalypse ist nahe. Und nach der Apokalypse kommt sofort die Postapokalypse." Zu einem einigermaßen zivilisierten Leben in dieser neuen Welt gehören eine endzeitliche Modenschau mit Trenchcoat-Hosen, PET-Flaschen-Flip-Flops und Einweg-Mischbrotschuhen sowie das Verspeisen von Geldscheinen nach deren endgültigem Verfall.
Foto: derStandard.at/Tinsobin
Götz Bury wurde per Eigendefinition "1960 als Auslandsbayer in Hamburg
geboren und lebt noch". Bekanntheitsgrad erlangte er mit
seinen Kochshows und dem mittlerweile vergriffenen Buch "Gut leben ohne
nix" - einer Anleitung für das (Über-)Leben im rasant anwachsenden
Prekariat. Bury kommt von der Kunst und nicht vom Kochen. Als Bildhauer verfügt er
über die Fähig- und Fertigkeiten, aus nichts etwas beziehungsweise aus Dingen andere Dinge zu kreieren. Dem zugrunde liegt sein Blick für Fundgegenstände aller Art in Verbindung mit seinem Bestreben, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.
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Aus dieser Perspektive heraus hat Bury eine Phänomenologie des Geldes entwickelt. Bevor die Show beginnt, können im Ladenlokal hilfreiche
Ausrüstungsgegenstände und praktische Bastelanleitungen erstanden
werden: Das "Küchenmesser für Angeber - Zutaten: Ein Stück von einer Küchenspüle" - hat Bury sich bei "Rambo" abgeschaut. "Ich weiß nicht, wozu die komischen Zähne da am Ende gut sind ... Wahrscheinlich benutzt er das zum Bäumefällen."
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Einen selbst gebauten Meterstab kann man in der neuen Wildnis immer brauchen. "Die meisten denken, das ist ganz einfach zu machen, aber das ist eine Arbeit, da wirst du wahnsinnig", erzählt Bury ...
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... und funktioniert den industriell gefertigten Meterstab kurzerhand zur Gabel um.
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Eine Küchenreibe, einfach herzustellen. Die Zutaten: ein Stück von einer Küchenspüle und ein 300er-Nagel.
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Risiko gehört dazu. So schaut Burys Elektroherd aus ...
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... doch heute Abend wird auf einem anderen Modell gekocht. Der mobile Herd kommt überall zum Einsatz, wo der Strom gratis ist. Bury widerlegt in seiner Kochshow die indianische Weisheit, dass man Geld nicht essen kann. Wozu ein solcher Beweis? "Weil die
Apokalypse nahe ist. Und nachher kommt sofort die Postapokalypse. Es
wird so sein wie bei der 'Reise nach Jerusalem': Jeder verkauft
Immobilien und freut sich, dass er so viel Geld dafür bekommt,
weil alle Immobilien kaufen. Dann steht er mit dem Geld da und muss
seinerseits in Immobilien investieren. Irgendwann gibt es keine Immobilien mehr zu kaufen. Die Letzten bleiben über."
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Nun gilt es, aus plötzlich zwecklos gewordenen Gegenständen Überlebenswichtiges zu formen. Was mit einer Kochuniform für das postapokalyptische Steinzeitkochen beginnt, die aus einer Papiereinkaufstüte und Kunstfell besteht. Ebenso ist die Herstellung eines Herdes ein Thema: "Hier habe ich ein Bügeleisen. Seid ihr noch nie auf die Idee gekommen, es umzudrehen?" Schon haben wir eine Kochplatte. "Ein bisschen irritierend ist, dass die Regelung der Platte nicht von eins bis zehn, sondern von Seide bis Leinen geht."
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"Was ist Geld?", fragt Bury, untersucht die in der Postapokalypse wertlos gewordenen schönen Scheine auf ihre Beschaffenheit und kommt zur Erkenntnis: "Geld ist ja nichts anderes als eine Idee! Zudem verfügt es über fast keine Eigenschaften, außer: Es verschwindet spurlos, und es quillt gewaltig auf."
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Woraus bestehen Geldscheine eigentlich? Aus
Leinen und Baumwolle. "Was ist das genau genommen?", fragt Bury weiter. "Ballaststoff! Der herrlichste
Ballaststoff! Das Tollste, das es gibt. Da kann man Brot draus backen." Was bleibt, wenn Geld in absehbarer Zeit seinen Wert verloren haben wird, ist also schlicht und einfach Ballaststoff, den man nur noch aufessen kann. Doch zuerst gilt es, das Geld sorgfältig zu waschen, mit einer selbst gebauten Waschmaschine.
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Die beste und günstigste Waschlauge für die Geldwäsche ist Holzasche. "Ordentlich und lange muss man das Geld waschen - eine Stunde oder so."
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Bury wählt für die Show allerdings den Schnellwaschgang. Dann hängt er die Scheine zum Trocknen auf.
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Als Nächstes werden die Scheine zerkleinert. Da das Schreddern mit dem händischen Locher für Brot für so viele Menschen mühsam ist, war Bury auf der Nationalbank. Dort wird geschreddertes Geld unter anderem für Kunstprojekte ausgehändigt. "Was wollen Sie denn damit machen?", fragte der verantwortliche Mitarbeiter vor Ort. "Ich möchte das Geld essen", meinte Bury. Der Herr von der Nationalbank: "Das trifft sich gut, es ist nämlich lebensmittelecht."
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Das eigenmächtige Schreddern von Geldscheinen ist übrigens nur bei Fremdwährungen erlaubt, die eigene Landeswährung zu schreddern ist gesetzlich verboten. Nun greift Bury zu einem guten Messer, um die Germpackung aufzuschneiden.
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Er rührt den Germ und etwas Wasser in den Teig, damit das Geld quellen kann.
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Weil die Geld-Ballaststoffe alleine nicht zusammenkleben, wird noch ein wenig Mehl untergerührt. Die beste und günstigste Schüssel ist ein Waschmaschinenbullauge, das Bury auf der Straße gefunden hat.
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Wie der Kochlöffel zustande kam: "Ich nehme diesen Kleiderbügel und schaue ihn an, schaue, wie er wirklich ausschaut. Aha, wie ein Löffel!"
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"Richtiges Brot muss lange gehen: vier Tage, minimal drei Tage", dann wird gebacken. Das Backrohr ist natürlich selbst gebaut. Eine Fliese wird auf den Bügeleisen-Herd gelegt, ein Topf draufgestellt, "und Achtung: die Temperatur auf Leinen schalten, denn auf Seide wird es Pumpernickel, das 36 Stunden lang garen muss".
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Der Backofen ist mit einem winzigen Blech ausgestattet, "auf das zum Beispiel zwei Sägemehlbusserln für Weihnachten passen". Zum Beheizen nimmt Bury entweder getrocknete Kuhfladen, die er auf der Alm gesammelt hat, ...
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... oder er greift - wie hier für die Show - zu drastischeren Mitteln: "Wer von euch benutzt so etwas?", fragt Bury. Ein paar Hände im Publikum gehen hoch. "Ich würde das nicht tun ... Haben Sie schon einmal das Kleingedruckte hier unten gelesen? Da steht: enthält Propangas!"
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Begeisterung: "Da kann man ja einen Flammenwerfer draus machen!"
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Nach zehn Minuten kommt der frische Laib aus dem Ofen.
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Bury: "Ihr werdet die Ballaststoffe so richtig merken, wenn wir das Brot
kosten. Es ist fast wie Zähneputzen, es hilft gegen Karies und
Parodontose, es geht zwischen jeden Zahn rein und saugt die ganzen
unerwünschten Bakterien weg."
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"Dann schluckt ihr das Brot runter, und es geht noch weiter: Boah, ein gewaltiges Sättigungsgefühl. Dann wandert die Masse in den Darm. Wenn die Ballaststoffe aufquellen, drücken sie auf die Darmwände, und das liebt der Darm. Das Geld beschleunigt die Verdauung, und ruck, zuck ist es wieder draußen. Aber keine Sorge, ihr schafft das schon noch nach draußen."
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Anschließend erfolgt die Verkostung im Publikum. Die meisten
ZuschauerInnen nehmen ein Stück vom Geldbrot, verzichten aber auf
Nachschlag. Bury hat nicht zu viel versprochen, das geschredderte Geld passt in jeden Zahnzwischenraum und unter jede Brücke.
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"Ich nehme dem Geld alles weg, was die Gesellschaft ihm verliehen hat", sagt Bury über seine neue Kochshow.
"Was übrig bleibt, ist auf der einen Seite das Material, auf der anderen
Seite eine Idee." Und weiter: "Geld dürfte gar nicht mehr funktionieren,
wenn wir erkennen, was es eigentlich ist. Man muss das wissen, man darf
es nicht so hoch bewerten." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 5.6.2012)
>> "Gut leben ohne nix"-Video im Rahmen von Soho in Ottakring 2009
Den nächsten Auftritt gibt es im Porgy & Bess in der strengen Kammer am 12. Juni. Weitere Termine sind derzeit nicht fixiert. Götz Burys Bücher gibt es bei den Kochshows oder können unter goetz.bury@gmx.at bestellt werden.
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