Im deutsch-französischen Streit über Euroanleihen ist nach François Hollandes Brüsseler Premiere nichts geklärt oder gar entschieden. Zum Showdown zwischen Präsident und Kanzlerin, den manche erhofft hatten, kam es nicht. Man wollte sich im Klub der Mächtigen mit dem Neuen aus Paris vor allem beschnuppern.

Dennoch schien es am Ende des EU-Gipfels in den frühen Morgenstunden des Donnerstags einen eindeutigen Gewinner zu geben: Dort vorn auf dem Podium des französischen Pressesaales steht er - Hollande. Ein kleiner Mann mit perfekt sitzendem Anzug, im Erscheinungsbild fast wie sein konservativer Vorgänger Nicolas Sarkozy.

Es ist jetzt zwei Uhr früh. Der Saal der Deutschen gleich nebenan ist längst verwaist. Angela Merkel hat ein kurzes Statement abgegeben, nur zwei Journalistenfragen zugelassen; hat zu Eurobonds und Griechenland mehr oder weniger bekannte Stehsätze abgelassen. Dann rauschte sie ab nach Berlin. Gut drauf war sie nicht.

Ganz anders der Franzose. Vor zwanzig Stunden ist er in Paris aufgestanden, mit seinem Tross im Superschnellzug Thalys in die 300 Kilometer entfernte EU-Hauptstadt gereist, "normal" - nicht wie sein stets auftrumpfender Vorgänger Nicolas Sarkozy. Der "Retter Europas" nahm gleich zwei Regierungsflugzeuge in Anspruch.

Hollande will nicht nur inhaltlich in der Europapolitik, sondern auch im Stil einen völligen Neuanfang. Das zeigt er gerne vor. Der Saal ist gerammelt voll. Es dampft. Der "ganz normale" Präsident schwitzt, so wie die gut 200 Medienvertreter, die sich her andrängen. Sarkozy war stets perfekt geschminkt aufgetreten, schwitzte nie. Hollande fühlt sich offenbar sehr wohl, ist geduldig.

Höflich und mit Blick in die Augen des Gegenübers verteilt er die Fragen, zuweilen noch verschmitzt lächelnd über eine Pointe, die er zuvor angebracht hat, etwa: "Es gibt Regierungschefs, die für ihr Statement einen guten Teil der Nacht in Anspruch nehmen." Gelächter. Seine Antworten sind kurz und klar, ganz so wie zuvor im Ratssaal, betont er. Bei ihm werde niemand aggressiv angeschnauzt, wenn er Kritik übe, so wie Sarkozy das oft tat. Diese "rupture", den Bruch, diesen Unterschied, scheint Hollande zu zelebrieren.

Ab sofort gelte die Regel einer offenen Aussprache mit klaren Standpunkten: "Ich will niemandem eine Lektion erteilen", erzählt er von den Beratungen, jeder komme zu Wort, jeder erledige das auf seine Weise, und das sei gut so: "So ist die Demokratie", sagt der Präsident, alle 27 Staaten könnten sich Geltung verschaffen. Er ist ein analytischer Typ. Mehrfach betont er die Rolle der EU-Kommission als jener Einrichtung, auf die es ankomme, die Ideen zu bündeln und Vorschläge zu machen, damit man am Ende "im Kompromiss" Entscheidungen treffen kann. Voilà: So sei die Politik.

Respekt vor den Partnern

Am Ende ist klar: Die Zeit der inhaltlichen Dominanz von Angela Merkel seit dem Ausbruch der Krise im Jahr 2008, die von einem sprunghaften Gegenüber aus dem Élysée sukzessive noch verstärkt wurde ("Merkozy"), ist definitiv vorbei. Ab sofort ist mehr Breite, mehr Kooperation angesagt, nicht nur im deutsch-französischen Untereinander, sondern im europäischen Miteinander der Staaten - EU-Institutionen inklusive. Hollande betont, wie eng er sich in Sachen Eurobonds mit Italiens Mario Monti und Spaniens Premier Mariano Rajoy abgestimmt habe. Wie wichtig ihm Polen sei, usw.

Um Viertel nach zwei kommen keine Fragen mehr. Hollande bläst durch die Lippen: "Rendezvous en juin." Ein französischer Journalist will wissen, wie Hollande jetzt nach Hause komme, um diese Zeit. "Mit dem Auto", antwortet der Staatspräsident. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 25.5.2012)