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Rona Nishliu beim ESC-Semifinale am Dienstag

Foto: Sergey Ponomarev/AP

Sie hält den Ton ewig lange, und das ziemlich laut: "Lasst mich weinen", singt die Frau mit den langen Dreadlocks. Rona Nishliu hätte zweifellos die Stimme, um ihr eigenes Land repräsentieren zu können. Doch weil der Kosovo von einigen europäischen Staaten nicht anerkannt wird, tritt die 25-jährige Frau dieses Jahr beim Eurovision Song Contest für das Nachbarland Albanien an. Im Jänner bekam sie vom albanischen Präsidenten per Dekret sogar die albanische Staatsbürgerschaft verliehen, um nach Baku reisen zu können.

"Ich repräsentiere Albaner auf der ganzen Welt", sagt Nishliu politisch korrekt. "Und nicht nur Albaner." Sie hofft aber, dass der Kosovo sich "sehr bald" selbst beim Song Contest repräsentieren wird können.

Zunächst bleibt es bei der Hoffnung. Für die Kosovaren, die in internationalen Organisationen nicht vertreten sind, bleibt oft nur die Möglichkeit, unter einer anderen Flagge anzutreten. Für viele ist das unbefriedigend, weil gerade Kultur und Sport für "Nation-Building" bedeutsam sind. So kämpft etwa die kosovarische Judoka Majlinda Kelmendi darum, bei den Olympischen Spielen in London für Europas jüngsten Staat antreten zu dürfen.

Doch gerade weil das Land um Anerkennung ringt, sind die Möglichkeiten der sogenannten "Albanosphäre" für die Kosovaren wichtiger geworden. Am Samstag werden auch die Albaner in Mazedonien, Montenegro, Albanien und natürlich im Kosovo beim Finale für die humanitär engagierte Frau zittern.

Nishliu musste 1999 während des Kosovo-Kriegs aus dem mehrheitlich serbisch besiedelten Nordmitrovica flüchten. Zunächst landete sie in Montenegro, heute lebt sie in Prishtina. Ihr Klagelied Suus, was so viel heißt wie "Eigen", hat nichts mit den Kriegserfahrungen zu tun. "Weinen war für mich nur der Beweis, das ich noch am Leben bin", sagt sie zum STANDARD.

Angesichts des Stimmvolumens der jungen Frau ist es erstaunlich, dass sie niemals beim Gesangsunterricht war. Entdeckt wurde sie bei einem albanischen Talentewettbewerb im Jahr 2004. Nishliu schreibt gerne Gedichte und Kurzgeschichten, und sie spielt Klavier. Bis zum Vorjahr arbeitete sie auch fürs Radio. Nun hat sie wegen all der Engagements keine Zeit mehr dazu. Ob sie später einmal auch ihr Heimatland, den Kosovo, beim Song Contest repräsentieren will? "Ich bin nicht so eigennützig, dass ich das noch einmal machen muss. Aber: Sag niemals nie." (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 24.5.2012)