Die zweite Runde der italienischen Kommunalwahlen hat am Montag den Trend voll bestätigt, den die erste bereits vorgezeichnet hatte. Das Ergebnis reicht weit über die lokale Bedeutung von Gemeindewahlen hinaus. Die "Achse des Nordens" zwischen Silvio Berlusconi und Umberto Bossi, die seit Jahren die politischen Geschicke Italiens bestimmte, ist ausgelöscht. Die Partei des Cavaliere verlor zwei Drittel der von ihr verwalteten Gemeinden. Das Ausmaß des Debakels lässt keinen Spielraum für Diskussionen. Und die Lega Nord, die in maßloser Selbstüberschätzung überall alleine angetreten war, verlor sogar alle Stichwahlen. Die Partei muss nun um ihr politisches Überleben kämpfen; nur eine radikale Erneuerung kann sie vor der Bedeutungslosigkeit retten. Auch die Zen trumsallianz "Dritter Pol" um Gianfranco Fini und Pier Ferdinando Casini wird einsehen müssen, dass ihr in dieser Form eine politische Zukunft verwehrt bleibt.

Dass die Linke diesen Wahlgang gewonnen hat, ist unbestreitbar. Doch sie feiert einen Sieg mit groben Schönheitsfehlern. Die Politikverdrossenheit der Italiener hat sich in der niedrigsten Wahlbeteiligung in der Geschichte der Republik niedergeschlagen. Die Hälfte aller Wähler blieb zu Hause. Zwar wurde der linke Universitätsprofessor Marco Doria Bürgermeister in Genua - doch nur 39 Prozent der Wähler gingen überhaupt zur Urne. Und in Palermo wurde der offizielle Kandidat des Partito Democratico von Leoluca Orlando deklassiert, der nach vielen Jahren zum vierten Mal Bürgermeister der bankrotten Hauptstadt Siziliens wird. Linker Erfolg oder linke Selbstzerfleischung?

Alarmsignal

Für die Parteien ist das Wahlergebnis vor allem ein Alarmsignal vor den Parlamentswahlen in zehn Monaten. Wenn sie ihren Widerstand gegen eine Reform des politischen Systems nicht aufgeben, könnten sie im kommenden Frühjahr ein böses Erwachen erleben. Vor allem Silvio Berlusconis Partei steht vor einer Zerreißprobe. Das "Volk der Freiheit" soll einen neuen Namen und ein neues Logo erhalten. Bereits in wenigen Tagen will Berlusconi den Wählern ein "verlockendes Angebot" unterbreiten. Dass die rote Karte der Wähler ihm selbst gilt, nimmt Berlusconi ebenso wenig zur Kenntnis wie viele seiner Parteifreunde, die seit Jahrzehnten ihre Privilegien genießen: PDL-Fraktionschef Fabrizio Cicchitto sitzt seit Mao Zedongs Todesjahr 1976 im Parlament, und der Gruppensprecher im Senat, Maurizio Gasparri, hat seine politische Laufbahn vor jener Margaret Thatchers begonnen.

Nun steht Italiens gescheiterte Gerontokratie am Scheideweg. Kaum jemand glaubt ernsthaft an einen echten Reformwillen der Parteien, die bisher noch jede Krise mit dem Rezept des Aussitzens überlebt haben. Für eine Reform des Wahlrechts und des Parlaments, für die mehrere Lesungen in Kammer und Senat erforderlich sind, bleiben den Parteien nur noch wenige Wochen. Andernfalls wird sich Stalingrad unweigerlich von Parma nach Rom verschieben, wie Beppe Grillo ankündigte - mit unabsehbaren Folgen. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 23.5.2012)