Geschäftstüchtiger Auftragskiller: Brad Pitt im US-Wettbewerbsbeitrag "Killing Them Softly".

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 Abbas Kiarostami gibt mit seinem Cannes-Beitrag Rätsel auf, und Alain Resnais verabschiedet sich doch noch nicht.

Der bisher markigste Schlusssatz von Cannes entstammt "Killing Them Softly" von US-Regisseur Andrew Dominik ("The Assassination of Jesse James"): "America is not a country, it is a business." Der von Brad Pitt verkörperte Auftragskiller unterstreicht damit seine Forderung nach dem vereinbarten Honorar, während auf den TV-Schirmen einer zwielichtigen Bar Barack Obama eine emphatische Rede über die Gleichheit aller US-Bürger schwingt. Der Satz ist nicht schlecht, die Szene auch nicht, und doch wirkt der Moment am Ende dieses Gangsterdramas zu bemüht, um wirklich cool zu sein.

Die Weinstein-Brüder haben diesen Film an die Croisette gebracht, wo die geschäftstüchtigen US-Produzenten schon lange ein gutes Standing haben. Tatsächlich erfüllt Dominiks neue Arbeit auch alle Anforderungen eines Festival-Genrefilms. Er möchte besonders smart sein, sodass er bei jeder Gelegenheit die Wirtschaftskrise ins Spiel bringt. Er setzt auf lange, pointierte Dialoge zwischen charismatischen Darstellern wie James Gandolfini, Richard Jenkins und Pitt und verzögert damit Situationen, wie man das von Quentin Tarantino kennt. Und er treibt das kleinkriminelle Geschehen in Blutbädern zum Exzess, die vordergründige Spektakel setzen. Kapitalismus als Gewaltkarussell, diese Lektion haben wir verstanden.

Rätsel gibt hingegen "Like Someone in Love" von Abbas Kiarostami auf, der erste Film, den der zum Weltkino übergetretene iranische Regisseur in Japan gedreht hat. Es ist eine Arbeit geworden, deren inszenatorische Intelligenz in Kontrast zu einer seltsam einfältigen Erzählung steht, sodass man nie ganz sicher ist, nicht etwas Wichtiges verpasst zu haben. Eine Studentin verdingt sich darin als Prostituierte. Mit dem Taxi durchquert sie Tokio, um dann im Bett eines kauzigen Professors unverrichteter Dinge einzuschlafen. Kiarostami entwirft eine seiner kunstvoll verdichteten Geschichten, in der sich die Figuren allerdings nie so zueinander verhalten, wie es ihre soziale Rolle vorsieht. Daraus entstehen immer wieder neue, flüchtige Begegnungen mit unerwartetem Ausgang.

Vom bald 90-jährigen französischen Altmeister Alain Resnais kommt nach Michael Hanekes "Amour" dagegen ein weiteres Memento mori. In "Vous n'avez encore rien vu" ("Sie haben noch nichts gesehen") reisen eine Reihe von Schauspielerinnen und Schauspieler - Pierre Arditi, Sabine Azéma, Mathieu Amalric, Michel Piccoli etc. - zum Begräbnis eines befreundeten Autors in dessen Haus an, um dort in jene Rollen seines Dramas "Eurydice" zurückzufallen, die sie für ihn einst gespielt haben.

Resnais' Vorliebe für Theater, künstliche Kulissen und Verwirrspiele, die mit filmischem Budenzauber angetrieben werden, kommt deutlicher als in den letzten Arbeiten zum Vorschein. Aus dem Spiel von Darstellern mehrerer Generationen formt der Film eine Montage rund ums Abschiednehmen und Erinnern, die einmal spitzbübisch wirkt, dann wieder etwas getragen. Die gute Nachricht zuletzt: Dass Resnais mit diesem Film aufhören wird, entpuppte sich als falsches Gerücht. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, DER STANDARD, 23.5.2012)