Die österreichische Politik ist seit et lichen Jahren einfallslos, entscheidungsschwach und im Grunde ratlos. Daher bastelt sie jetzt am gesetzlichen Rahmen der Politik herum, statt eine inhaltliche Erneuerung zu versuchen.

Deshalb sind sich jetzt alle Parlamentsparteien einig, das Volk doch mehr direkt entscheiden zu lassen. Es soll viel mehr verpflichtende Volksabstimmungen geben - dann brauchen sich die Politiker nicht mit so lästigen Dingen wie "Entscheidungen fällen" herumschlagen.

Konkret soll es so aussehen: wenn ein Volksbegehren eine bestimmte Anzahl von Unterschriften erreicht hat, soll es über das Thema eine Volksabstimmung geben, deren Ergebnis bindend ist. Die FPÖ will 250.000 Unterzeichner, die Grünen setzen mit vier Prozent der Wahlberechtigen der letzten Nationalratswahl (das wären auch rund 250.000) ebenfalls recht niedrig an, das BZÖ will 400.000, die ÖVP zehn Prozent der Wahlberechtigten (630.000) und die SPÖ 700.000.

Noch einmal zum Mitschreiben: Wenn (nach Modell Grüne und FPÖ) 250.000 Menschen ein Volksbegehren unterzeichnen, muss eine Volksabstimmung stattfinden, deren Ausgang verpflichtend ist (das grüne Modell ist etwas komplizierter, aber der Effekt ist der gleiche).

Gegen Minarette und Fahrräder

Wenn das Gesetz wird, veranstaltet die FPÖ als erstes ein Volksbegehren gegen Minarette und kriegt genug Unterschriften und gewinnt das zwangsläufig folgende Referendum. Die Grünen können sich auf eine Volksabstimmung freuen, die von irgendeiner Autofahrergruppe initiiert wird, die erfolgreich ein Radfahrverbot auf den Straßen fordert.

Aber selbst wenn 700.000 Unterschriften notwendig sind, um eine Volksabstimmung anzusetzen - das Volksbegehren zur Aufhebung der Fristenlösung von 1975 hatte fast 900.000 Unterschriften. Damit wäre heute nach Inkrafttreten der Pläne zu einer "Volksgesetzgebung" der Schwangerschaftsabbruch automatisch abgeschafft.

Österreich ist seiner Verfassung nach eine repräsentative Demokratie, d. h. bis auf wenige Ausnahmen werden die Interessen des Volkes nicht direkt von diesem, sondern von seinen Repräsentanten (Regierung, Abgeordnete) wahrgenommen. In den 67 Jahren der Zweiten Republik gab es zwei bindende Volksabstimmungen: gegen Kernkraft und für den EU-Beitritt. Das waren Grundsatzthemen, bei denen ein Volksentscheid geboten war.

Die automatischen Volksabstimmungen hingegen ähneln verdammt dem, was Jörg Haider einst als plebiszitäre "Dritte Republik" propagierte. Dies ist kein Plädoyer gegen mehr Bürgerbeteiligung an der Politik. Sie ist ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, aber es würde genügen, wenn sich mehr Bürger in die Politik begeben, um ihr frisches Blut zuzuführen - und sei es über Bürgerinitiativen, NGOs und spontane Internetplattformen.

Es ist auch gar nicht sicher, ob die Österreicher so unbedingt eine intensivere direkte Demokratie wollen; sie wollen nur besser, und vor allem vernünftiger und qualitätsvoller regiert werden als heute. Ob da die Flucht in den Volksentscheid wirklich hilft? (Hans Rauscher, DER STANDARD, 23.5.2012)