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Ein Restrikiko für das Auseinanderbrechen der heute ziemlich zerzausten Währungsunion bleibt für Matthias Kullas.

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Die künftige europäische Euro-Münze wurde am 16.6.1997 auf einer Pressekonferenz am Rande eines EU-Gipfels vorgestellt - rundherum Geldscheine in den jewiligen Landeswährungen der EU-Mitgliedsstaaten.

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Matthias Kullas: "Mit Sarkozy hatte sich Merkel klar auf realwirtschaftliche Reformen verständigt. Mit Hollande werden die Karten wieder neu gemischt."

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Griechenland hat in der Eurozone keine Chance, wieder auf die Beine zu kommen, glaubt Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Matthias Kullas. Warum er die diskutierten EU-Projektbonds eher für diplomatisches Geplänkel, die Bereitschaft zum Transfer in die schwächeren Euroländer für gering und Einschnitte trotz sozialer Unruhen für alternativlos hält, erzählt er im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Hat die Eurokrise einen neuen Höhepunkt erreicht?

Kullas: Die Krise war nie wirklich weg. Sie wurde nur kurzzeitig durch die EZB-Liquiditätsmaßnahmen - die Dicke Bertha - überdeckt. Die Ruhe war trügerisch.

derStandard.at: Das Chaos in Griechenland ist kein Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen bringen wird?

Kullas: Es war schon seit langem absehbar, dass Griechenland in der Eurozone keine Chance hat, wieder wettbewerbsfähig zu werden und wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

derStandard.at: Ob mit oder ohne Griechenland: Europa diskutiert heftig, wie Sparen und Wachstum unter einen Hut zu bringen sind. Monatelang wurde über strengere Budgetregeln diskutiert. Jetzt steht ein Aufschnüren des Fiskalpaktes im Raum. Dazwischen liegt das ungelöste Dilemma des Nord-Süd-Gefälles. Was ist jetzt das Dringendste, das es zu erledigen gilt?

Kullas: Um das Nord-Süd-Gefälle abzubauen, sind realwirtschaftliche Reformen das A und O.

derStandard.at: Auch auf Kosten der sozialen Unruhen, die wir rundherum sehen?

Kullas: Viele Eurostaaten haben in den Jahren nach der Euro-Einführung über ihre Verhältnisse gelebt. Das muss nun korrigiert werden und führt in der Regel zu schmerzhaften Einschnitten. Dies geht nicht, ohne dass der kleine Mann leidet. Erschwerend kommt hinzu, dass der fiskalische Handlungsspielraum der Eurostaaten sehr stark eingeschränkt ist. Die Möglichkeiten, die sozialen Spannungen durch zusätzliche Staatsausgaben zu mildern, sind daher begrenzt. Ich wüsste nicht, wie man dies ändern könnte, außer man begibt sich in eine Transferunion.

derStandard.at: Womit wir bei den Eurobonds wären, die auch Frankreichs Präsident wieder aufs Tapet bringt.

Kullas: In Deutschland möchte das ein Großteil der Bevölkerung nicht. Die Erfahrungen mit dem Finanzausgleich zwischen den deutschen Bundesländern zeigen die Probleme sehr deutlich: Empfängerländer bleiben meist Empfängerländer. Das einzige Land, das es geschafft hat, vom Empfängerland zum Zahlerland zu werden, ist Bayern. Außerdem hatten wir ja in den letzten zehn Jahren faktisch Eurobonds, da die Zinsunterschiede zwischen den Eurostaaten fast verschwunden waren. Die meisten Eurostaaten haben die niedrigen Zinsen aber nicht genutzt, um Schulden abzubauen. Wenn Staaten für ihre Politik auch haften müssen, ist das langfristig das Effizienteste und am nachhaltigsten für die Entwicklung eines Landes.

derStandard.at: Womit wir wieder bei den Reformen wären. Wie schnell kann so etwas gehen?

Kullas: Bis realwirtschaftliche Reformen wirken, dauert es in der Regel zwei bis drei Jahre. In so einer Situation gibt man gerne einen konjunkturellen Impuls, feuert also durch staatliche Maßnahmen das Wirtschaftswachstum an. Damit kann man die harten Einschnitte, die eintreten, bis die realwirtschaftliche Reformen wirken, ausgleichen. Wenn die realwirtschaftlichen Reformen ihre positiven Wirkungen entfalten, werden die konjunkturellen Maßnahmen zurückfahren.

derStandard.at: Das klingt doch recht plausibel und erfolgversprechend.

Kullas: Es treten jedoch zwei Probleme auf: Zum einen ist dieser konjunkturelle Impuls nur ein Strohfeuer. Zum anderen werden einige Eurostaaten von den Kapitalmärkten gegenwärtig genau beobachtet, da ihre Bonität in den vergangenen Jahren stark nachgelassen hat. Sie haben daher kaum mehr die Möglichkeit, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme aufzulegen. Die Diskussionen um Wachstumsimpulse und das Aufschnüren des Fiskalpaktes finde ich daher recht interessant. Aber selbst wenn das juristisch erlaubt ist, glaube ich nicht, dass die Kapitalmärkte das finanzieren werden.

derStandard.at: Europa will sich ohnedies dem "Diktat der Märkte" entziehen, wie es immer wieder so schön heißt. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit?

Kullas: Die Märkte, das sind Millionen von Individuen, die vielleicht zusätzlich eine private Rentenversicherung haben oder Ersparnisse, die sie irgendwie angelegen. Meines Erachtens haben sie berechtigten Grund, einigen Eurostaaten gegenwärtig keine Kredite zu geben. Wenn meine Rentenversicherung momentan Griechenland Geld geben würde, würde ich mir sehr überlegen, ob ich sie nicht kündigen müsste.

derStandard.at: Nun scheint ja zumindest europaweit klar, dass das Wachstum angekurbelt werden muss. Neben einer Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank gibt es den Vorschlag von sogenannten EU-Projektbonds, die für die Finanzierung von europäischen Infrastrukturprojekten ausgegeben werden sollen. Könnten solche Maßnahmen das Strohfeuer etwas anfachen?

Kullas: Die Europäische Investitionsbank (EIB) ist für die Eurostaaten aus einem Grund interessant: Die Mitgliedsstaaten geben Garantien, die es der EIB ermöglichen, Kapital aufzunehmen. Damit wird Geld für die Mitgliedsstaaten bereitgestellt, ohne den Schuldenstand der Staaten zu erhöhen. Allerdings: Die EIB hält meines Wissens 0,5 Prozent des europäischen BIP für Investitionen bereit. Das ist marginal. Selbst wenn man diese Summe verdoppelt, ist es immer noch zu wenig, um einen konjunkturellen Impuls auszulösen. Ich denke, man will mit diesen Überlegungen dem neuen französischen Präsidenten François Hollande entgegenkommen. Im Endeffekt ist es Augenauswischerei.

derStandard.at: Ohne die Vereinigten Staaten von Europa mit gemeinsamen Regeln am Arbeitsmarkt, bei den Pensionen etc. wird es nicht gehen, sagen ohnedies sehr viele. Teilen Sie diese Ansicht?

Kullas: Die nationale Souveränität in diesem Bereich hat Vorteile. Es gibt einen institutionellen Wettbewerb, in dem sich die besten Modelle durchsetzen. Das hat Europa in der Vergangenheit stark gemacht. Wenn man das abschafft und stattdessen einheitliche Standards setzt, werden viele Eurostaaten Arbeitsmarktregeln haben, die nicht optimal zu ihrer Wirtschaftsstruktur passen. Das führt dazu, dass die Eurozone an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Regionen verliert.

derStandard.at: Das würde uns wieder zu dem Punkt führen, dass verschiedene Währungen diese unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Länder widerspiegeln würden.

Kullas: Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit können in einer Währungsunion nur dann dauerhaft bestehen, wenn sie durch Transfers ausgeglichen werden. Wenn jedes Land eine eigene Währung hat, spiegelt sich die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit hingegen im Wechselkurs wieder.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Tatsache, dass mit Hollande jetzt ganz offenbar ein Gegenwind für Merkels Sparkurs spürbar ist?

Kullas: Das ist eine spannende Frage. Mit Sarkozy hatte sich Merkel klar auf realwirtschaftliche Reformen verständigt. Mit Hollande werden die Karten wieder neu gemischt. Welchen Weg die Eurozone zukünftig geht, wird sich insbesondere daran zeigen, ob die Eurostaaten und die EZB tatsächlich bereit sind, Griechenland den Geldhahn zuzudrehen. Ordnungspolitisch sinnvoll wäre dies.

derStandard.at: Was ist dann mit der viel beschworenen Ansteckungsgefahr für die anderen Wackelkandidaten wie Spanien oder Italien?

Kullas: Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die Eurostaaten diesen Schritt wagen werden. Ich denke, dass man das Risiko eingehen sollte, wenn Griechenland die Auflagen nicht erfüllt. Anderenfalls würde man ein falsches Signal an Irland, Portugal und andere Eurostaaten senden. Die Eurostaaten unterstützen Griechenland, wenn Griechenland die Hilfe nicht will, dann muss man das akzeptieren. Dass Griechenland dann noch die Bedingungen diktieren möchte, das geht zu weit.

derStandard.at: Die Finanzwelt bereitet sich ja ganz offensichtlich auf den Ausstieg oder Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone vor. Bleibt also noch auf die politische Entscheidung zu warten.

Kullas: Genau. Länder wie Spanien, Italien, Portugal, ich vermute sogar Frankreich haben auch Angst davor, da sie nach einem Ausstieg Griechenlands selbst höhere Zinsen zahlen müssen. Das kann durchaus dazu führen, dass die Eurostaaten sich nicht für diesen Schritt entscheiden. Hinzu kommt, dass besonders französische, aber auch deutsche Banken nach wie vor in Griechenland engagiert sind, auch wenn beim Schuldenschnitt schon eine ganze Menge geleistet wurde. Aber die Institute haben auch Kredite an Private vergeben, die sie bei einem Austritt Griechenlands abschreiben müssten. Und nicht zuletzt: Die Gelder aus den beiden Rettungspaketen für Griechenland werden dann wohl nur noch zu einem kleinen Teil zurückgezahlt.

derStandard.at: Aber wir haben doch Milliarden-Rettungsschirme gespannt?

Kullas: Diese haben die Wahrscheinlichkeit, dass ein Austritt Griechenlands die Eurozone sprengt, deutlich gemindert. Ein Restrisiko bleibt jedoch.

derStandard.at: Die Union ist ein politisches Projekt, auch wenn das bei den Bürgern vielfach so nicht angekommen ist. Was ist aus der Idee "Friedensprojekt Europa" geworden?

Kullas: Nach wie vor ist die Europäische Union ein sehr erfolgreiches Projekt. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat jedoch einiges verändert. Jetzt, wo es um die Verteilung großer finanzieller Lasten geht, treten ganz klar die nationalen Interessen zutage. Staaten mit einer niedrigen Bonität wollen plötzlich auf Kosten solider Staaten leben. Der Ton ist dadurch sehr viel rauer geworden. (Regina Bruckner, derStandard.at, 23.5.2012)