Michael Dohr: "Es spricht ja eigentlich für den Anwalt, wenn man angeblich von links und angeblich von rechts eingesetzt wird."

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Michael Dohr ist ein vielfältiger Jurist. Vor nicht allzu langer Zeit hat er die Tierschützer vertreten, jetzt ist er der Anwalt von Gottfried Küssel. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt er, warum er jemanden vertritt, der sich selbst als Nationalsozialisten bezeichnet.

derStandard.at: Wie würden Sie Gottfried Küssel beschreiben?

Dohr: Ich habe ihn jetzt ein Jahr in der Haft besucht. Als Mandant kann ich nichts Negatives über ihn sagen. Er ist ein angenehmer, weil unkomplizierter Mandant, das heißt, er lässt sich vom Anwalt leiten. Politische Gespräche gibt es eigentlich nicht. Wir reden mehr Privates, hauptsächlich über die Familie.

derStandard.at: Welche Bezeichnung trifft am ehesten auf Küssel zu: Neonazi, Rechtsextremist oder eine andere?

Dohr: Schwer zu sagen. Er hat sich selbst in einer Verhandlung als Nationalsozialisten bezeichnet. Ich habe das nicht hinterfragt. Ich glaube, dass er eine Bewusstseinsänderung vollzogen hat. 1993 war er schließlich 20 Jahre jünger. Auch durch die Familie und seine drei Kinder hat sich sicherlich etwas geändert. Er hat mir immer wieder gesagt, dass sein Kampf ein gewaltfreier war. Ich habe aber auch das nicht überprüft, sondern mich interessiert das Jetzt und nicht die Vergangenheit.

derStandard.at: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, Küssel zu vertreten?

Dohr: Ein ehemaliger Mandant von mir, der wegen eines Wirtschaftsdeliktes zufällig gemeinsam mit Küssel in Haft war, hat mich weiterempfohlen.

derStandard.at: Sie haben vorher die Tierschützer vertreten - ist das nicht eine eher seltsame Mischung, was die Auswahl Ihrer Mandanten betrifft?

Dohr: Das kann man nicht so sagen. Es spricht ja eigentlich für den Anwalt, wenn man angeblich für links und angeblich für rechts eingesetzt wird. Ich lege auch Wert darauf, dass das Recht keine Kategorie von links oder rechts beinhaltet. Es geht um die Wahrheitsfindung.

derStandard.at: Gibt es irgendwelche Personen, die Sie nicht vertreten würden?

Dohr: Das ist sehr schwierig. Weil ich vom Verfassungs-Grundsatz ausgehe, dass jeder Mensch, egal welchen Verbrechens er bezichtigt wird, das Recht auf eine Verteidigung hat.

derStandard.at: Darum vertreten Sie auch einen Neonazi?

Dohr: Ich könnte ihn aber nicht verteidigen, wenn ich den Inhalt der Homepage verteidigen müsste. Das wäre nicht authentisch. Hier steht aber nicht die Ideologie des Herrn Küssel auf der Anklagebank, sondern die Frage, ob er an der Homepage alpen-donau.info beteiligt war oder nicht.

derStandard.at: Haben Sie sich die Website je angeschaut?

Dohr: Nein, nie. Alles ist einem Anwalt auch wieder nicht zumutbar. Ich will mich nicht belasten mit solchen grauenhaften Dingen, der Inhalt der Homepage ist widerwärtig und abzulehnen. 

derStandard.at: Der Verteidiger des Mitangeklagten Felix B., Herbert Orlich, erklärte am zweiten Verhandlungstag: "Das Verbotsgesetz ist ein Friedhof." Stimmen Sie zu?

Dohr: Man sollte das Delikt vielleicht konkretisieren. Ich bin aber nicht jemand, der sagt, das Verbotsgesetz gehört weg. Wir haben eine Vergangenheit, zu der wir stehen müssen und für die wir die Verantwortung übernehmen müssen.

derStandard.at: Küssel wird von einem der beiden Mitangeklagten, Wilhelm A., belastet: A. hat vor der Polizei ausgesagt, er habe Küssel und den Zweitbeschuldigten Felix B. mit Zugangscodes zur Nazi-Seite alpen-donau.info versorgt. Warum glauben Sie trotzdem an Küssels Unschuld?

Dohr: Der Herr A. ist neunmal einvernommen worden, eine Einvernahme war von 1.30 bis 5 Uhr früh. Er hat so viele Aussagen dazu gemacht und hat das am Schluss wieder zurückgenommen. Und Fakt ist: Es wurden keine Zugangscodes auf Küssels Rechner gefunden.

derStandard.at: Küssel hat im November 2008 jedoch ein ziemlich eindeutiges E-Mail an Wilhelm A. geschickt. Darin beauftragte er A. mit der Registrierung zweier Domains und gab auch die Namen der Webseiten vor, nämlich Alpendonau.info und Aldoinfo.com.

Dohr: Ja, aber A. hat gesagt, er will damit nichts zu tun haben, und es ist auch nicht erfolgt. 

derStandard.at: Doch, aber mit drei Monaten Verspätung.

Dohr: Dafür kann mein Mandant nicht verantwortlich gemacht werden. Der Wunsch nach Installierung einer Homepage, die dann später übrigens mit verändertem Namen online gegangen ist, ist nicht strafbar. 

derStandard.at: Wäre es nicht denkbar, dass A. nur zum Schein abschlägig geantwortet hat, um den Verdacht zu zerstreuen - und dass der Rest der Mail-Kommunikation auf verschlüsseltem Weg erfolgt ist?

Dohr: Es gibt keine Beweise. Und mein Mandant wollte auf dieser Webseite nur das Tagesgeschehen dokumentieren. Das, was daraus geworden ist, war nicht seine Intention. Er wollte diesen Inhalt nicht, davon bin ich überzeugt. 

derStandard.at: Küssel gilt aber über Österreichs Grenzen hinweg als zentrale Figur der Neonazi-Szene.

Dohr: Ich habe Küssel von Anfang an reinen Wein eingeschenkt und gesagt, dass ich nicht der rechten Szene angehöre. Ich habe ihn gefragt, ob er sich nicht besser einen anderen Anwalt suchen möchte, und er hat gesagt: Nein. 

derStandard.at: Auf Küssels Rechner wurde die Rechnung eines Fotografen gefunden, der sich beschwerte, weil alpen-donau.info sein Copyright verletzt hatte. Wie kommt ausgerechnet Küssel zu dieser Rechnung, wenn er doch laut Ihren Aussagen nichts mit der Seite zu tun hatte?

Dohr: Wahr ist, dass dieses Mail nicht an ihn gegangen ist, sondern an den Dreamhost-Server und dann woandershin. 

derStandard.at: Die Rechnung ist aber nur auf Küssels Festplatte gefunden worden, auf keiner anderen.

Dohr: Darüber schweigt sich die Anklage aus - sie sagt nicht, wie dieses Mail zu Küssel gekommen ist. 

derStandard.at: Dennoch sieht es so aus, als sei Küssel im Kreis der Homepage-Verantwortlichen gewesen - sonst wäre die Zahlungsaufforderung ja nie zu ihm gelangt.

Dohr: Wir alle bekommen private Mails, mit denen wir nichts anfangen können. Das heißt noch lange nicht, dass ich damit irgendwas zu tun habe. Auf jeden Fall sollte dieser Fotograf als Zeuge geladen werden.

derStandard.at: Wundert Sie das eigentlich, dass die Behörden jahrelang sagen, sie könnten die Nazi-Webseite nicht abdrehen, weil der kalifornische Webhost die Daten des Betreibers nicht herausgeben wolle - und dann kommt ein einfacher Fotograf daher und bekommt auf schnellem Weg den Kontakt zu den Domain-Inhabern? 

Dohr: Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit hat gemeint, man habe das nicht früher machen können. Ich weiß es nicht. Vielleicht waren es auch polizeitaktische Gründe. 

derStandard.at: Können Sie ausschließen, dass Gottfried Küssel in Zukunft nationalsozialistische Propaganda verbreiten wird?

Dohr: Ich würde es ausschließen, das sage ich ganz offen. Er weiß, was das für seine drei Kinder bedeuten würde, wenn er sich genauso verhalten würde wie vor 20 Jahren. Er würde nichts riskieren, was ihn wieder für längere Zeit von seiner Familie trennen würde.

derStandard.at: Er wäre nicht der einzige Neonazi mit Familienanschluss.

Dohr: Natürlich. Aber ich weiß, dass er ein liebender Familienvater ist. Ich rede mit ihm nicht über Politik, das hätte auch keinen Sinn, weil wir da meilenweit voneinander entfernt sind. Aber seine politische Überzeugung ist nicht strafbar. Strafbar ist nur, wenn er das nach außen trägt. (Maria Sterkl/Rainer Schüller, derStandard.at, 23.5.2012)