Chicago - Mit Tausenden Ausbildern und milliardenschweren Hilfen flankiert die NATO nach Ende des Kampfeinsatzes Ende 2014 den demokratischen Wiederaufbau in Afghanistan. Schon Mitte 2013 sollen afghanische Sicherheitskräfte - im Verbund mit der internationalen ISAF-Schutztruppe - die Kampfeinsätze gegen radikalislamische Taliban führen. Die westliche Allianz befinde sich auf einem "unwiderruflichen" Pfad zum Aufzug aus dem Staat am Hindukusch, hieß es zum Abschluss des Gipfels.

ISAF leistet nur mehr Unterstützung

Das bedeutet, dass die afghanischen Einheiten die Gefechte führen, Kampfeinheiten der ISAF leisten dann noch Unterstützung. Der Kampfeinsatz der NATO ist also nicht beendet. Zum Abschluss ihres Gipfels in Chicago stimmten die 28 Staats- und Regierungschef der Allianz diesen Plänen zu. US-Präsident Barack Obama, der insgesamt fünf Dutzend Spitzenpolitiker in seine Heimatstadt geladen hatte, zeigte sich von einem Erfolg des Afghanistankrieges überzeugt. "Wir verlassen Chicago mit einer klaren Road Map (Fahrplan)", sagte er zum Ende des Gipfels.

Auf Zweifel bezüglich der Strategie gegen die Taliban erwiderte Obama: "Gibt es Risiken? Natürlich", sagte der US-Präsident gegenüber Journalisten. Die Taliban seien weiterhin ein "starker Feind" und die Fortschritte der NATO noch immer nicht ausreichend gesichert. Er zeigte sich allerdings zuversichtlich. "Wir können ein stabiles Afghanistan erreichen, das nicht perfekt sein wird... und wir können damit anfangen, Amerika wieder aufzubauen".

Vier Milliarden US-Dollar nach 2014

Von den jährlich benötigten 4,1 Milliarden Dollar (3,2 Milliarden Euro) nach 2014 zur Finanzierung von Armee und Polizei soll die Regierung in Kabul mindestens 500 Millionen Dollar selbst aufbringen. Von 2024 muss an muss sie Einheiten selbst unterhalten. Die USA wollen 2,3 Milliarden Dollar übernehmen. Sie stellen rund 90.000 Soldaten für die Schutztruppe ISAF, die derzeit etwa 130.000 Soldaten im Einsatz hat. Damit es nicht zu teuer wird, müssen Polizei und Armee der Afghanen von jetzt insgesamt knapp 300.000 nach 2014 auf dann 228.500 Mann verkleinert werden.

Österreich hatte im Vorfeld 18 Millionen Euro für den Aufbau der afghanischen Polizei versprochen. Die Stabilität Afghanistans nach dem Abzug der NATO-Truppen im Jahr 2014 sei im Interesse aller, sagte Bundeskanzler Werner Faymann (S) bei einer Rede am Gipfel. "Österreich ist bereit, seinen Beitrag für diese Anstrengungen von regionaler und globaler Bedeutung zu leisten". Am Rande des Gipfels traf Faymann auf US-Präsident Barack Obama, der sich für das Engagement Österreichs bedankt habe, hieß es.

Frankreichs Truppen ziehen früher ab

Für Ärger in der Afghanistan-Debatte sorgte das Ausscheren Frankreichs aus der Bündnissolidarität: Präsident Francois Hollande will die Kampftruppen schon Ende 2012 nach Hause holen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel glaubt nicht, das andere Partner Frankreich in einer Art Abzugswettlauf nun folgten: "Ich sehe dieses Risiko nicht. Ich sehe eine sehr geordnete Phase vor uns, in der jeder seine Verpflichtungen einhält." Ungeachtet des Vorstoßes Hollandes sieht die Kanzlerin kein grundsätzliches Problem in den Beziehungen zwischen Berlin und Paris: "Es gibt die Kontinuität der guten Zusammenarbeit. Das schließt unterschiedliche Positionen nicht aus", sagte sie.

Hollande verstand die Aufregung nicht. "Wir haben eine gemeinsame Abmachung gefunden", sagte er. 2013 sollten französische Ausbilder für afghanischen Polizei und Armee verbleiben. Auch Obama ließ sich von der französischen Entscheidung nicht beirren: "Wir setzen uns zum Ziel, dass die afghanischen Sicherheitskräfte Mitte 2013 die Führungsrolle für die Wahrung der Sicherheit im ganzen Land übernehmen." NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einem gemeinsamen Ziel: "Einem Afghanistan, das von Afghanen für Afghanen regiert und gesichert wird."

Nach dem Ende des Gipfels gab auch Neuseeland bekannt, seine Truppen früher aus Afghanistan abzuziehen. Die Arbeit dort sei getan, sagte der neuseeländische Außenminister Murray McCully vor Journalisten. Die 140-köpfige Einheit soll ihre Mission formell Ende des Jahres abschließen und 2013 zurückkehren. Eigentlich war der Abzug ein Jahr später mit Ende 2013 geplant gewesen.

Proteste in Chicago

Die Proteste gegen den größten Gipfel in der 63-jährigen Geschichte des Bündnisses gingen am Montag weiter. Demonstranten zogen zur Zentrale des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns Boeing. Nach den Ausschreitungen am Vortag blieb es ruhig.

Milliardenschwere Rüstungsprojekte

Die 28 Alliierten stellten in Chicago auch die Weichen für milliardenschwere Rüstungsprojekte und enge Zusammenarbeit bei Entwicklung und Beschaffung. Die NATO kam beim lange geplanten Raketenschild einen wichtigen Schritt voran: Das System - ein Schutzschild gegen Angriffe sogenannter Schurkenstaaten wie dem Iran und Nordkorea - ist in Teilen einsatzbereit. Das stellte die Gipfelrunde zum Auftakt fest.

Russland hatte vor dem Beschluss erneut seine Ablehnung deutlich gemacht. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es, das System könne das strategische Gleichgewicht stören, weil es letztlich in Lage wäre, auch russische Raketen abzufangen. Die Raketenabwehr beruht auf der Verbindung von Radarstationen und Abfangraketen zu Lande und zu Wasser. Bis 2020 soll es komplett installiert sein.

Wegweisend für eine neue Ausrichtung der NATO waren vor allem Beschlüsse zu Rüstungsprojekten. "Sie werden militärische Fähigkeiten, die wir brauchen, zu einem Preis schaffen, den wir uns leisten können", sagte Rasmussen. Es ist eine enge Kooperation bei mehr als 20 Projekten geplant. Angesichts knapper Mittel will die NATO dennoch militärisch und technologisch immer auf letzten Stand zu sein. Viele Entwicklungen können einzelne Staaten finanziell nicht mehr allein stemmen.

Zu solchen Projekten der sogenannten "Smart Defence" (kluge Verteidigung) gehören beispielsweise ein System zur Bodenaufklärung durch unbemannte Flugkörper oder zur Betankung von Flugzeugen. Es soll auch das Projekt AGS - Bodenüberwachung aus der Luft durch fünf unbemannte Flugzeuge - kommen. Die Anschaffung durch 13 Staaten kostet eine Milliarde Euro.

Kein Nachschub durch Pakistan

Keine Einigung gab es bisher in den Gesprächen zwischen der US-Regierung mit Pakistan über eine Wiedereröffnung der NATO-Nachschubrouten für Afghanistan. Obama sprach jedoch nach einem "sehr kurzen" Treffen mit Pakistans Präsident Asif Ali Zardari von "Fortschritten" bei den Verhandlungen. Pakistan hatte die Routen geschlossen, nachdem vor einem halben Jahr 24 pakistanische Soldaten durch US-Luftangriffe getötet worden waren. (APA, 22.5.2012)