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Die Ruinen einer Kathedrale in Finale Emilia.

Foto: EPA/ELISABETTA BARACCHI

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Heftiger Regen und Nachbeben erschweren die Rettungsarbeiten.

foto: dapd/luca bruno

Rom - Nach dem schweren Erdbeben in Norditalien haben Tausende Menschen auch die Nacht auf Dienstag in Notunterkünften oder bei Freunden und Verwandten verbracht. Erneut wurde die Region Emilia Romagna von Nachbeben erschüttert. Heftige Regenfälle erschwerten die Situation.

Der italienische Premier Mario Monti besucht am Dienstag die Gemeinde Sant'Agostino nahe Ferrara. Dort waren am Sonntag drei Arbeiter beim Einsturz einer Fabrik ums Leben gekommen. Der Politiker wird auch in der Gemeinde Finale Emilia, Epizentrum des Erdbebens, erwartet. Monti plant für Dienstag eine Ministerratsitzung, bei der der Notstand ausgerufen wird. Damit sollen Gelder für den Wiederaufbau locker gemacht werden. Wegen der Einsparungen infolge der Schuldenkrise sei jedoch mit wenig Hilfe seitens des Staates zu rechnen, verlautete es in Regierungskreisen.

Wieder Bauten eingestürzt

Ein Erdstoß der Stärke 3,6 löste am Montag um vier Uhr früh neue Panik aus und ließ bereits beschädigte Bauten einstürzen.

Die Lage der rund 5.000 Obdachlosen wird durch Dauerregen und ungewöhnlich kühle Temperaturen erschwert. Der Zivilschutz errichtete am Montag neue Zeltstädte in der Provinz Modena, aus der ein Großteil der Obdachlosen stammt. Besonders schwierig gestaltete sich die Evakuierung von 500 Häftlingen aus dem beschädigten Gefängnis von Ferrara. Wegen der notorischen Überfüllung der italienischen Haftanstalten gibt es kaum freie Plätze.

Castello Estense erheblich beschädigt

Auch Ferraras berühmtestes Kunstdenkmal, das mächtige Castello Estense im Herzen der Altstadt, wurde durch das Beben, bei dem mindesten sieben Menschen starben, erheblich beschädigt.

Die historische Bausubstanz wurde in allen betroffenen Provinzen stark im Mitleidenschaft gezogen: Hunderte Kirchen, Paläste und Burgen erlitten schwere Schäden oder stürzten ein, wie in Finale Emilia. "In 20 Sekunden wurden hier tausend Jahre Geschichte ausgelöscht", klagt Fernando Ferioli, Bürgermeister der stark verwüsteten Stadt. Allein in der Altstadt seien 1500 Gebäude beschädigt. Das spätmittelalterliche Schloss gleiche einem Trümmerfeld. "Wer die enormen Kosten des Wiederaufbaus bezahlen soll, wissen wir nicht", erklärte der Bürgermeister.

Der Einsturz mehrerer Fabriken, bei denen vier Arbeiter ums Leben kamen, hat zu Polemiken geführt. Es sei "bedenklich, dass erst vor wenigen Jahren errichtete Werkhallen bei dem Beben eingebrochen" seien, kritisierte Zivilschutz-Chef Franco Gabrielli. Statiker erklärten, dass die Hallen "erhebliche Baumängel" aufgewiesen hätten. Die Dachträger seien nicht sachgemäß auf den Stützpfeilern verankert worden.

Der Präsident der Region Emilia-Romagna, Vasco Errani, bezeichnete den Schaden als "enorm" und warnte vor einem "zweiten L'Aquila". In der Hauptstadt der Abruzzen liegt die Altstadt drei Jahre nach dem Beben unverändert in Trümmern.

Schäden für Landwirtschaft

Die Verluste in der Landwirtschaft werden vom Bauernbund Coldiretti auf 250 Millionen Euro beziffert. Neben beschädigten Gebäuden und eingestürzten Ställen sind vor allem die riesigen Lagerhallen betroffen, in denen der Parmiggiano-Käse reift. Viele der bis zu 15 Meter hohen Regale stürzten um, fast 500.000 Käselaibe wurden zerstört oder beschädigt.

Als Ursache für das starke Beben in dem seismologisch bisher kaum gefährdeten Gebiet bezeichnen Experten den wachsenden Druck der Kontinentalplatten. Der Apennin bewegt sich nach Norden, die Alpen bewegen sich in Richtung Süden. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD/red, derStandard.at, 22.5.2012)