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"Was hat der Dalai Lama für die Freiheit in Tibet getan?", fragt Chinas Botschafter in Österreich Shi Mingde.

Foto: Lilli Strauss/dapd

STANDARD: Der Dalai Lama ist als politischer Führer der Tibeter zurückgetreten. Warum reagiert die chinesische Regierung dennoch so harsch, wenn er als religiöse Figur irgendwo in der Welt auftritt?

Shi: Es geht um das Prinzip. Die Tibetfrage berührt Souveränität und territoriale Integrität Chinas. Tibet ist ein Teil unseres Landes, das ist Kerninteresse Chinas. Hier gibt es keinen Kompromiss. Deshalb sind wir gegen jegliche Begegnungen des Dalai Lama mit Politikern von Staaten, die mit uns diplomatische Beziehungen unterhalten. Formell mag er nicht mehr Chef der Exilregierung sein, aber in der revidierten Verfassung der Exil-Tibeter steht eindeutig, dass er der höchste Führer der Tibeter bleibt.

STANDARD: In Österreich werden Bundeskanzler und Vizekanzler den Dalai Lama inoffiziell treffen. Wird es danach wieder eine kleine diplomatische Eiszeit zwischen Wien und Peking geben wie 2007?

Shi: Er ist der wahre Führer einer separatistischen Regierung. In welchem Rahmen er immer empfangen wird, das ändert nichts am politischen Charakter des Treffens. Alle Medien werden berichten: Der Bundeskanzler oder der Außenminister haben ihn getroffen.

STANDARD:  Was könnten die Konsequenzen für Österreich sein?

Shi: Sie haben den ähnlichen Fall 2007 angesprochen. Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholt. Wir haben im vergangenen Jahr 40 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen China und Österreich gefeiert, hatten hochrangige Besuche. Ich hoffe sehr, dass die Politiker die gute Entwicklung unserer Beziehungen zu schätzen wissen und nichts unternehmen, was diese beeinträchtigen könnte.

STANDARD:  Wie erklären Sie sich die Selbstverbrennungen von Mönchen in den tibetischen Gebieten?

Shi: Diese Fälle gibt es seit März 2011. Es sind meist sehr junge Mönche aus wenigen Tempeln in Sichuan, die sich verbrennen. Sie rufen dabei politische Losungen. Deshalb betrachten wir das als angezettelte Aktion des Dalai Lama. Er bezeichnet diese Leute als Märtyrer, stattdessen sollte er sie doch davon abhalten, sich umzubringen.

STANDARD:  Es ist trotzdem Indiz für große Unzufriedenheit. Warum gehen Tibeter so weit?

Shi: Es kommt darauf an, von welchem Tibet Sie sprechen. Es gibt die Gruppe des Dalai Lama im Exil, das sind 80.000 Menschen. In Tibet und den angrenzenden Regionen leben fünf Millionen Tibeter. Man muss die Fakten und Zahlen sehen: Bis 1959 herrschte dort eine Sklavenhaltergesellschaft. Die Lebenserwartung damals war 35 Jahre, heute beträgt sie 67 Jahre. Das Bruttosozialprodukt ist um das 93-Fache gestiegen. Es gibt auch umfassende Religionsfreiheit, in Tibet existieren 1700 Klöster mit 46.000 Mönchen. Es ist eine Anmaßung des Dalai Lama, dass er als Chef einer Sklavenhaltergesellschaft über Freiheit und Demokratie spricht. Die Frage ist, was hat er in seiner Zeit dafür getan und was hat die zentrale Regierung für Tibet getan?

STANDARD:  Der alles bestimmende Parteichef in Tibet ist aber dennoch Han-Chinese, oder?

Shi: Tibet ist eine autonome Region. Ich möchte wissen, welche Autonomie der Dalai Lama dort will? Er spricht von einem Großtibet mit 2,4 Millionen Quadratkilometern Gebiet statt mit 1,7 Millionen, wie es die Autonome Region umfasst. Das würde ein Viertel der Landfläche Chinas umfassen. Das können wir nicht tolerieren. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 22.5.2012)