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Serbien hat seit gestern einen neuen Präsidenten: Tomislav Nikolić.

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Ivanišević: "Orthodox zu sein ist in Serbien sehr populär. Und Nikolić als gelernter Populist versteht sich in diesem Sinne zu inszenieren."

Foto: Alojz Ivanišević

Der neue Präsident Serbiens ist Tomislac Nikolić von der Serbischen Fortschrittspartei. Er hat sich in der Stichwahl am Sonntag knapp gegen Boris Tadić von der Demokratischen Partei durchgesetzt. Der Historiker Alojz Ivanišević vom Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien spricht im Interview über Nikolićs Gründe dafür, auf Europakurs zu bleiben, die serbische Kosovo-Politik und die anstehenden Regierungsverhandlungen.

derStandard.at: War der Sieg von Nikolić wirklich so überraschend?

Ivanišević: Für mich schon. Die Umfragen, die ich gelesen habe, deuteten auf einen Sieg Tadićs hin. Allerdings gab es auch Stimmen, die bei einer niedrigen Wahlbeteiligung Nikolić als Sieger sahen.

derStandard.at: War wirklich die niedrige Wahlbeteiligung ausschlaggebend? Sind die Tadić-Wähler zu Hause geblieben?

Ivanišević: Das denke ich schon. Die serbischen Medien haben Tadić favorisiert, was offensichtlich kontraproduktiv war. Man darf aber auch das Potential von Nikolić in der serbischen Wählerschaft nicht unterschätzen.

derStandard.at: Ist die Wandlung Nikolićs vom Nationalisten zum proeuropäischen Konservativen glaubwürdig?

Ivanišević: Entgegen einigen anders lautenden Kommentaren ist das für mich nicht besonders glaubwürdig. Nikolić ist zwar ein Pragmatiker und im Gegensatz zu manchen anderen extrem nationalistischen Politikern in Serbien ein Realpolitiker. Aber er ist trotzdem ein Nationalist geblieben, auch wenn er sich aus pragmatischen Gründen zu Europa bekennt.

Ich erinnere an ein Abkommen zwischen Nikolić und H.C. Strache vom Juni 2011, in dem ideologische Gemeinsamkeiten zwischen der FPÖ und der Serbischen Fortschrittspartei unterstrichen wurden. Die beiden Parteiführer bekräftigt darin auch, dass sie ein Bündnis gleichgesinnter Parteien auf europäischer Ebene anstrebten. Im genannten Abkommen verurteilten sie zwar "den religiösen Fanatismus", dachten aber dabei offensichtlich nur an den "islamischen Fanatismus". Nikolić hat sich übrigens nach der Stimmabgabe im Wahllokal fernsehwirksam bekreuzigt, was einem Bekenntnis zur politische Orthodoxie gleich kommt . Orthodox zu sein ist in Serbien sehr populär. Und Nikolić als gelernter Populist versteht sich in diesem Sinne zu inszenieren.

derStandard.at: Wird es Änderung in der EU-Politik geben? Ist die Annäherung in Gefahr?

Ivanišević: Da Nikolić, wie gesagt, ein Realpolitiker ist, wird es keine wesentlichen Änderung in der serbischen EU-Politik geben. Als Staatspräsident hat er zwar keine allzu großen Kompetenzen, aber das Amt allein bewirkt einiges. Durch seine Wahl zum Präsidenten wird sich das verfestigen. Mit seiner Wahl könnte der serbische Nationalismus als mit Europa kompatibel angesehen werden.

derStandard.at: Sehen Sie einen möglichen Konflikt mit der Regierung. Die ja von Tadićs Demokratischer Partei und den Sozialisten wahrscheinlich gebildet wird, obwohl die Serbische Fortschrittspartei von Nikolić die meisten Stimmen bekommen hat.

Ivanišević: Das könnte passieren. Obwohl sich auch Tadić in seiner Rede nach der Wahlniederlage bemüht hat, versöhnlich zu wirken. Allerdings ist Nikolićs Partei aus den letzten Parlamentswahlen bekanntlich als stimmenstärkste Partei hervorgegangen und dazu hat Nikolić seinem Konkurrenten Tadić vorgeworfen, die Wahl manipuliert zu haben. Das könnte zu einem größeren Konflikt bei der Regierungsbildung ausweiten.

derStandard.at: Was könnten Streitpunkte zwischen Regierung und Staatspräsident sein?

Ivanišević: Es ist völlig offen, wie sich die Situation entwickelt. Es kommt darauf an, wer als Premierminister nominiert wird. Tadić selbst steht nach eigenen Aussagen für diese Funktion nicht zur Verfügung.

derStandard.at: Was sind die größten Herausforderungen für die kommende Regierung?

Ivanišević: Vor allem die schwere wirtschaftliche Lage des Landes. Diese zwingt förmlich den neuen Staatspräsidenten wie auch die künftige Regierung zum politischen Pragmatismus, und das heißt im konkreten Fall "Europäismus". Und natürlich der Kosovo. Hier bleibt es abzuwarten, wie sich Nikolićs Realpolitik gestalten wird.

derStandard.at: Tadić hat im Wahlkampf gesagt, Nikolić würde "den Kurs der Versöhnung mit den Nachbarstaaten gefährden". Wahlkampfrhetorik oder ist da was dahinter?

Ivanišević: Sicher auch Wahlkampfrhetorik, aber seine Befürchtungen sind zum Teil berechtigt. Nikolić wir in Kroatien und Bosnien-Herzegowina, aber auch in den anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens zurecht mit Šešelj und dessen Radikaler Partei in Verbindung gebracht. Nikolić war einst deren Vizepräsident, hat sich dann aber von der "Mutterpartei" abgespalten und eine eigene Partei gegründet. Danach folgte seine ideologische Wandlung, die nicht für alle glaubwürdig ist. Auch in serbischen Medien wurde vor Nikolić als Staatspräsident gewarnt, gerade in Hinblick auf die Beziehungen mit den "ex-jugoslawischen" Nachbarstaaten

derStandard.at: Hatte der Prozess gegen Mladić, der vergangene Woche begonnen hat, Einfluss auf das Wahlergebnis?

Ivanišević: Dieser Prozess hat, soweit ich es mitbekommen habe, in Serbien gar nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Deswegen denke ich, dass er die Wahlentscheidung nicht wesentlich beeinflusst hat. (mka, derStandard.at, 21.5.2012)