Auf der Habenseite der letzten Jahre findet man nicht nur ein komplett untergegangenes Soloalbum. Punk-Gevatter John Lydon tourte für gutes Geld auch wieder als Johnny Rotten mit seiner alten Band Sex Pistols um den Globus. Er wirkte in einer Staffel des britischen Dschungelcamp mit, agierte in einer TV-Werbung für britische Butter namens Country Life sowie als Moderator einer Sendereihe des Discovery Channel über die faszinierende Welt der Insekten (John Lydon's Megabugs).
Vor ein paar Jahren reanimierte der heute 56-jährige dann auch Public Image Limited (PiL) wieder. Mit einem nicht ganz originell This Is Pil betitelten, Ende Mai zur Veröffentlichung gelangenden Album erscheint nach 20-jähriger Pause wieder eine Arbeit seines künstlerisch interessantesten Standbeins.
Die befürchtete große Katastrophe ist This Is PiL nicht geworden, obwohl man dem alten, seit Jahrzehnten konsequent Selbstdemontage betreibenden Mann diesbezüglich einiges zugetraut hätte. Als einer der größten Zyniker im Geschäft veröffentlichte er zwar nach dem Auseinanderbrechen der Sex Pistols 1978 mit PiLs erstem Album Public Image und anschließend mit der legendären Metal Box sowie 1981 mit The Flowers of Romance drei der zentralen Statements des britischen Postpunk. Darauf fand sich mitunter reizend sperrige Musik zwischen der alten Angriffslust des Punk, wummerndem Dubreggae und gemütlich verhatschten, repetitiven Beatstudien des deutschen Krautrocks im Stile des Kölner Kollektivs Can aus den frühen 1970er-Jahren.
1983 allerdings nahm sich Lydon eine gesichtslose Hotelband als Begleitung und produzierte mit dieser seinen bis heute größten Hit, This Is Not A Love Song, dem das unsägliche Livealbum Live in Tokyo folgte. Mit Ausnahme der Allstar-Arbeit Album von 1986 mit, höflich gesagt, unerwarteten Gastmusikern wie Drummer Ginger Baker von Cream oder Höllengitarrist Joe Satriani und deren Radiohit Rise ("Anger is an energy") begrub John Lydon sein Talent in aufgesetztem Sarkasmus und fragwürdigem, formelhaftem wie emotional leerem und von den Arrangements her unnötig aufgeblasenem Dance-Rock, dem man noch heute den Dienst nach Vorschrift anmerkt. Darüber hatte der meckernde Gewitterziegengesang Lydons zeitlich unbegrenzten Freigang. Kaufen wollte das niemand - und hören schon gar nicht. Ein Auftritt beim Wiener Donauinselfest endete damals nach wenigen Minuten, weil ein aus dem Publikum geworfener Doppler Wein den Gitarristen außer Gefecht setzte.
Das sich seit einigen Jahren live auf den Großfestivals dieser Welt wiederbetätigende Lineup von PiL, darunter etwa Schlagzeuger Bruce Smith von der legendären Pop Group oder den Slits, Bassist Scott Firth (Elvis Costello, Spice Girls) und Gitarrist Lu Emmonds (The Damned, Mekons) bauen Lydon auf This is PiL ein fest in der Tradition der letzten PiL-Arbeiten wie Happy? oder 9 fußendes Fundament.
Noisiger Wave-Rock, ein wenig zickig und zackig, ein wenig unten mit Reggae, aber auch Hardrock, auf keinen Fall zu abwechslungsreich, bietet die Basis für Lydons altbewährte, in die Auslage gestellte Hysterien. Worte werden im Mund sardonisch gedehnt und zerkaut ("Po-li-ti-ci-aaaans", "Aaaa-nn-arrr-chy"), die Snare-Drum klackert in der Echokammer. Der Bass sucht Lee Scratch Perry, die Gitarre den alten Gitarristen von Siouxie & The Banshees. Auch Anarchie und Chaos kennen die Nostalgie. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 17.8.2012)