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Roma in der Schweiz fürchteten negative Folgen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen, sagt Cristina Kruck. Auch die Leiterin der Rroma Stiftung wollte aus diesem Grund von derStandard.at nicht fotografiert werden

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Das umstrittene Weltwoche-Cover

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Der Artikel der Weltwoche als wordle-cloud.

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"Die Roma kommen", titelte das Schweizer Wochenmagazin "Weltwoche" am 6. April. Das reißerische Cover und der tendenziöse Text, der die Roma und Sinti in der Schweiz pauschal als kriminell verunglimpfte, sorgte über die Schweizer Grenzen hinweg für Aufregung. Neben dem Zentralrat deutscher Sinti und Roma brachte auch der österreichische Journalist Klaus Kamolz eine Anzeige wegen Verhetzung ein. Fast zwei Monate später hat sich die Aufregung gelegt – aber die Angst, sich als Angehörige der Roma-Minderheit zu outen, sei größer denn je, sagt Cristina Kruck, Gründerin der Roma Foundation in Zürich.

derStandard.at: Der Protest gegen das Weltwoche-Cover ist abgeebbt – aber wie ist die Stimmung bei den Schweizer Roma-Communities?

Kruck: Kurz nach dem Artikel haben sie zu mir gesagt: "Bitte, mach nichts, protestiere nicht, sonst wird es noch schlimmer." Das ist die Angst von allen – dass man noch stärker diskriminierter wird. Es gibt in der Schweiz die Minderheit der Jenischen, die zum Teil fahrende Leute sind – und die wurden sofort attackiert. Aber auch die Roma müssen darunter leiden. Das Cover suggeriert ja, dass alle Roma Verbrecher sind. Das wären dann also 12 Millionen Verbrecher in Europa. Das ist absolut inaktzeptabel. Was mich aber am allermeisten erschüttert hat, waren die Reaktionen der Bevölkerung. Von 153 Postings unter einem Tagesschau-Bericht über das Weltwoche-Cover waren 150 Postings pro Weltwoche, nur drei Kommentare waren halbwegs kritisch. Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass diese latente Haltung so extrem ist. Das zeigt, wie schnell eine Gruppe zum Feindbild werden kann, wenn die Wirtschaft schlecht läuft.

derStandard.at: Wie stark ist diese feindliche Stimmung spürbar?

Kruck: In der Schweiz ist es besser, nicht zu sagen, dass man Rom ist. Sonst tritt man auf der Stelle. Es ist sogar besser, „Jugo" zu sein – obwohl „Jugo" als Schimpfwort gilt. Folglich outet sich niemand als Rom oder Romni. Ich kenne Banker, Polizisten, Justizwachebeamte, einen Arzt, Hoteliers, Sicherheitsbedienstete, die Roma sind – aber niemand gibt es offen zu. Ein bekannter Architekt ist polnischer Rom – aber er gibt vor, Armenier zu sein. Sie können nicht sagen, dass sie Roma sind – sonst sind sie weg vom Fenster.

derStandard.at: Haben Sie das mit eigenen Augen miterlebt?

Kruck: Ja. Im Jahr 2002 gab es eine große Ausstellung über Minderheiten in der Schweiz. Wir haben da mit den Jenischen gemeinsam eine Informationskampagne gemacht, und da hatten wir einen rumänischen Rom, der gesagt hat: Okay, wir treten dort als Roma auf. Er hat sich also im Fernsehen geoutet – und schon war er seinen Job los. Natürlich nicht mit der Begründung, dass er Rom ist, aber dass das der Grund war, war absolut klar. Eine andere Bekannte hat immer gesagt, dass sie Mazedonierin ist – dass sie auch Romni ist, hat sie immer verschwiegen. Eines Tages hat sie es einer Schweizer Freundin erzählt. Ab diesem Tag durfte sie nicht mehr zu dieser Freundin nach Hause kommen. Deswegen sagt niemand hier, dass er Rom ist, wenn es nicht unbedingt sein muss. Und seit dem Bericht in der Weltwoche wird es noch extremer.

derStandard.at: Warum haben Sie die Weltwoche nicht wegen Verhetzung angezeigt, wie das beispielsweise der Zentralrat deutscher Sinti und Roma getan hat?

Kruck: Wir haben auch überlegt, haben mit Rechtsanwälten und Journalisten darüber gesprochen. Und scheinbar ist es so, dass die Pressefreiheit in der Schweiz viel großzügiger ausgelegt wird als in Österreich und Deutschland. Die Weltwoche kann die verrücktesten Dinge sagen, und es passiert nichts. Wir werden im Artikel zwar zitiert, aber die Weltwoche hat uns nie angerufen. Ich persönlich glaube, dass es da gar nicht um die Roma geht. Was wirklich dahinter steckt, ist die Schweizerische Volkspartei (SVP), die eine Kampagne gegen Schengen und die Freizügigkeit machen will.

derStandard.at: Welche Vorurteile gibt es gegenüber Roma?

Kruck: Alle glauben, Roma würden in Wohnwagen herumfahren, viele Kinder haben, betteln und stehlen und nicht schreiben und lesen können. Daran sind auch die Medien schuld. Ein paar Mal kamen Journalisten zu mir und sagten, sie wollen integrierte Roma sehen. Ich habe ein paar präsentiert – einen Koch, einen Beamten, und so weiter. Und die waren den Journalisten nicht "authentisch" genug. Eine Journalistin von der NZZ, die hat gefragt: "Gibt es denn keine Armen, die auch ein bissl integriert sind?" Als sie dann Flüchtlinge gesehen haben, meinten sie: "Okay, das sind Roma."

derStandard.at: Roma in der Schweiz sind keine Fahrenden?

Kruck: Nein. Die Jenischen fahren, die Roma fahren nicht. Die Population der Roma in der Schweiz ist zum Großteil nach dem Ersten Weltkrieg zugewandert, auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie waren möglichst still und haben nichts gesagt. Roma war es bis 1972 verboten, in die Schweiz zu fahren. Nur hat sich der Schweizer halt vorgestellt, dass die Roma mit Wohnwagen oder Pferdewagen kommen. Und das war nicht der Fall. Für die meisten Schweizer sind Roma Messerschleifer, dabei gibt es gar keine Roma, die Messerschleifer sind. Das ist eine typische jenische Tätigkeit. Die Roma sind sie sehr gut gebildet, sehr viele haben studiert.

derStandard.at: Was ist wahr an dem Weltwoche-Bericht?

Kruck: Da heißt es, die Roma gehen betteln und auf den Strich. Wir haben uns die Prostiutierten angeschaut, und das sind hauptsächlich nicht Roma, sondern Frauen aus Ungarn, Moldawien und Rumänien. Es ist aber wahr, dass es Roma-Banden aus Rumänien und Bulgarien gibt. Man muss dazu sagen, dass Roma in Rumänien oder Bulgarien derart arm und sowas von nicht integriert sind, dass ihnen oft nichts anderes übrig bleibt, als zu betteln. Ich bin gegen das Betteln, aber sie dürfen nicht vergessen, dass man mit 200 Franken, die man hier beim Betteln einnimmt, in Rumänien überleben kann. Oft werden Eltern in Rumänien oder Moldawien dafür bezahlt, dass sie die Kinder betteln schicken. Das ist ein Skandal – absolut klar.

derStandard.at: Was kann man dagegen tun?

Kruck: Nach dem Weltwoche-Artikel hat man unsere Stiftung attackiert und gesagt, wir müssten etwas dagegen unternehmen, dass die Menschen hierherkommen. Aber wir sind keine Polizei. Es gibt Reisefreiheit, die Menschen können hierherkommen. Und die Wurzel des Problems liegt in den Herkunftsländern – in Rumänien, Bulgarien. Dort ist zu wenig gemacht worden. Es geht ja nicht nur den Roma schlecht – dort geht es allen schlecht. (Maria Sterkl, derStandard.at, 21.5.2012)