Die Güterabwägung am Ballhausplatz muss schwierig gewesen sein: für den höheren Selbstzweck zu Nato-Kriegstreibern fahren, wo sich die SPÖ im kuscheligen Wien doch so sehr für den Weltfrieden engagiert? Oder doch lieber daheimbleiben und dafür schweren Herzens auf ein Foto mit dem großen Barack Obama verzichten, das sich in den hiesigen Revolverblättern mit Sicherheit gut gemacht hätte? Diese delikaten Fragen hatte Bundeskanzler Werner Faymann längst zuungunsten Obamas beantwortet, als er dieser Tage noch einmal seine ganze diplomatische Weitsicht schweifen lassen musste, um die Entscheidung wieder zu revidieren: In der Boltzmanngasse, dem Sitz der US-Botschaft in Wien, hatte man gewinkt, der Ballhausplatz hörte, ja verstand die Signale.

Nun rettet Faymann den Weltfrieden eben am Michigansee, darf sich womöglich von Obama auf die Schulter klopfen lassen und ein Ränzlein mit einigen Millionen für Afghanistan an der Garderobe der Amerikaner abgeben. Besser (oder peinlicher, je nach Betrachtungsweise und Leidensfähigkeit) könnte sich der derzeitige Status der österreichischen Außenpolitik schwer darstellen: Auf einen Pfiff von auswärts gondeln im Neutralitätskitsch verfangene Polittouristen durch die Welt und machen ihre Aufwartung - ohne einen Plan im Kopf, ohne nationale Interessen im Blick und ohne Einflussmöglichkeiten im Talon.

Horizont von Liesing bis zur Hinterbrühl

Natürlich, man könnte argumentieren, dass die Bürger jene Politiker bekommen, die sie selber wählen. Und wenn die bisher nicht begriffen haben, dass ein kleines Land mit einer offenen, exportabhängigen Volkswirtschaft in einer globalisierten Welt nach außen und nicht nach innen blicken muss, wieso sollten es dann ihre Politiker tun? Eine gute Antwort wäre: Weil sie etwas mehr Perspektive haben sollten als die Bürger, die Macht an sie delegieren. Es wäre hilfreich, wenn ihr Horizont weiter reichte als von Liesing bis zur Hinterbrühl.

Aber davon kann schlechterdings keine Rede sein, am wenigsten in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wie sonst könnte es sein, dass Norbert Darabos, der längstdienende Verteidigungsminister der Europäischen Union (!), unlängst stolz den österreichischen Teil der EU-Battlegroup präsentierte und gleichzeitig neutralitätsduselig der Ansicht ist, dass diese nur mit einer UN-Erlaubnis einzusetzen sei. Da hätte er doch gleich sagen sollen, die Union möge sich der Einfachheit halber ihre Verteidigungspolitik und den Einsatz ihrer ohnehin bescheidenen militärischen Ressourcen in Washington, Moskau und Peking amtlich genehmigen lassen.

Zufrieden mit Unterdurchschnittlichkeit

Unlängst hat EU-Kommissar Johannes Hahn im STANDARD-Interview erklärt, die Bundesregierung erledige im Ausland (ja, damit ist auch die EU gemeint) bestenfalls die Pflicht. Von einer politischen Kür könne keine Rede sein. Das ist ein mildes Urteil, vor allem dem eigenen Parteichef und Außenminister gegenüber. Michael Spindelegger mag sich tatsächlich Mühe geben, zumindest die Pflicht halbwegs anständig zu bewältigen. Aber vom außenpolitischen Gewicht anderer neutraler Länder - Stichwort Schweden und dessen Außenamtschef Carl Bildt - ist Österreich meilenweit entfernt. So weit, dass sich hiesige Spitzendiplomaten lieber zum Europäischen Auswärtigen Dienst absetzen oder pensionieren lassen, als sich mit gut gepflegter Unterdurchschnittlichkeit zufriedenzugeben.

Eine Kür sieht anders aus. Leider. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 16./17.5.2012)