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Die Umbenennung des Lueger-Rings ist für Herbst 2012 fixiert, das Schild links bleibt unverändert. Die Debatte geht weiter.

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Alexander Spritzendorfer, Urenkel des Schmieds der "Lueger-Kette".

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Als kleiner Bub im Wien der 60er-Jahre hörte ich von meinem Großvater oft die Geschichte von Luegers Bürgermeisterkette. Mein Urgroßvater, Ludwig Spritzendorfer, arbeitete in der Silberschmiede Alexander Sturm in der Burggasse 85. Dort wurde diese Kette bearbeitet. Ludwig Spritzendorfer soll seinen Namen sowie den Stundenlohn, den er für die Arbeit erhalten hat, in ein Glied der Kette eingraviert haben. Die Geschichte, die mir mein Großvater mit dem entsprechenden Pathos erzählte, beeindruckte mich tief und machte Lueger für mich zum Helden. Erst später entwickelte ich einen differenzierten Blick auf die Person Lueger.

Eine differenzierte Betrachtung ist auch in der aktuellen Debatte rund um die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Universitätsring, die im Herbst erfolgen wird, notwendig. Ganz besonders in der undifferenzierten Gleichsetzung der historischen Bewertungen der Persönlichkeiten von Karl Lueger und Julius Tandler, die von konservativen Kreisen in die Debatte eingebracht wurde.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich halte die Umbenennung für richtig, sie war längst überfällig. Es gibt dank des politischen Geschicks Luegers Gedenken an ihn zur Genüge.

In seinem Aufsatz Ehe und Bevölkerungspolitik von 1924, hat Julius Tandler Sätze formuliert, die heute verstörend wirken. Tandler hat sich als Mediziner und Wissenschafter mit Eugenik beschäftigt - so wie sich heute Mediziner und Wissenschafter mit Gentechnik beschäftigen. Der Politiker Tandler hat Euthanasie aber strikt abgelehnt.

Im Gegenteil: Tandler hat die hervorragendsten Einrichtungen gerade für die Schwächsten der Gesellschaft geschaffen. "Humanität und Gerechtigkeit befehlen uns, auch für die Alten und Gebrechlichen, für die Siechen und für die Irren zu sorgen", schreibt Tandler in dem erwähnten Aufsatz. Unter seiner Leitung als Wiener Stadtrat für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen ist die Kindersterblichkeit drastisch gesunken, die "Wiener Krankheit" (Tuberkulose) praktisch besiegt worden. Sein Fürsorgeprogramm wurde zum Vorzeigemodell für die ganze Welt. So viel zu Tandler.

Dieser Tage fällt oft das Zitat: "Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten." Abgesehen davon, dass es sich um eine Plattitüde handelt, scheint es in Anbetracht der Diskussion wichtig zu sein, das Gesamtwerk des Politikers, das Vermächtnis zu erfassen. In diesem Punkt unterscheiden sich Lueger und Tandler grundsätzlich. Luegers Errungenschaften für Wien wie Hochquellwasserleitung, Stadtbahn oder Gasversorgung sind unbestritten. Aber auch seine Parteibuchwirtschaft und seine Wissenschaftsfeindlichkeit sind historische Tatsachen. Lueger war kein Antisemit, aber er hat den Antisemitismus salonfähig gemacht und genährt, Adolf Hitler berief sich auf Karl Lueger als einen seiner Wegbereiter und war Trauergast bei dessen Begräbnis.

Beide, sowohl Tandler als auch Lueger, sind weit über die Grenzen unseres Landes hinaus berühmt - Tandler als Anatom, Lueger als Antisemit. Punkt.

Es ist wichtig, polarisierende Persönlichkeiten mit Verdiensten im Gedächtnis der Stadt zu bewahren, um Diskussionen wie diese zu ermöglichen. Die Debatte darf aber nicht der Vernebelung und Ablenkung dienen, sondern soll einer historischen Wahrheit so nahe wie möglich kommen.

Der für mich bedeutendste Wiener Bürgermeister, Karl Seitz, Architekt des Roten Wien und erster Staatspräsident der Ersten Republik, hat in Wien nicht einmal einen Beserlpark, der seinen Namen trägt.

Eine der wenigen Erinnerungen an Luegers Kontrahenten Karl Seitz - eine Statute, die im April vor fünzig Jahren enthüllt wurde - steht am Dr.-Karl-Lueger-Ring. Ab Herbst wird sein Denkmal am unbenannten Universitätsring stehen. Karl Seitz dankt, und die Fangemeinde von Lueger wird mit den verbleibenden zwölf Gedenkstätten für ihren "Bürgerkaiser" wohl auskommen. (Alexander Spritzendorfer, DER STANDARD, 14.5.2012)