Für Viele ist die Staatsbürgerschafts-Einkommensgrenze eine unüberwindbare Hürde. Politisch ist das erwünscht.

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Diese Woche hat Eugen Nergers Geschichte für Aufsehen gesorgt. Dass der 65-Jährige nach 46 Jahren ausgebürgert wurde, weil Fremdenbürokraten im oberösterrechischen Wels - wo er sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat - im Zuge der Verlassenschaftsabwicklung nach dem Tod seiner Mutter feststellten, dass er eigentlich gar kein Österreicher sei, schaffte es, auf offizieller Seite Reaktionen zu verursachen.

Auch Viktor Sigl (ÖVP), der in Oberösterreich als Landesrat für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zuständig ist, sah sich bemüßigt, Stellung zu nehmen. Und selbst Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), angesichts staatsbürgerschaftsrechtlicher Entschärfungswünsche sonst das Phlegma in Person, gab indirekt eine Wortspende ab: Er habe gehört, dass Mikl-Leitner rechtlichen "Nachjustierungsbedarf" erblicke, richtete Sigl von der Ministerin aus. Und meinte selber, dass man im Fall Nerger "das ganze Thema sehen müsse". Denn: "Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass er zu wenig verdient."

Chancenloser Nerger

Und woran sonst? Mysteriöse Andeutungen sind das Letzte, was es in dieser Causa braucht. Denn, mit Verlaub: Dass der Welser Pensionist jetzt staatenlos ist, obwohl er dem österreichischen Staat unter anderem als Wehrpflichtiger zu Diensten war, und dass er keinerlei Chance hat, den dunkelroten Ösi-Pass wieder verliehen zu bekommen, liegt nur und ausschließlich am lieben Geld! Sein Einkommen, 500 Euro Monatsrente, ist für die strengen Auflagen des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes zu niedrig, konkret um rund 300 Euro. Rund 800 Euro monatlich müsste er haben, aus eigener Kraft, da helfen weder Gespartes noch Ausgleichszulage.

Die selben harten Bedingungen gelten für alle Menschen, die gerne ÖsterreicherInnen werden wollen: für Ausländer also, Nichthiesige. Seit der Staatsbürgerschaftsnovelle 2006 rauben diese hohen Vorgaben vielen "Fremden" auch nach Jahrzehnten des Hierseins jede Chance, in Österreich als vollwertige StaatsbürgerInnen anzukommen und wählen zu können. Oder auch: ganz einfach endlich wirklich sicher zu sein. Die Einbürgerungszahlen sind seither massiv zurückgegangen. 

Ausgeschlossen sind etwa: Personen ohne Berufausbildung, die nur schlecht bezahlte Hilfsjobs ausüben können. Arbeitsunfähige, etwa weil sie vor Folter in anderen Staaten hierher geflohen und durch die grausame Behandlung gesundheitlich schwer eingeschränkt sind. Vielfach auch ältere Menschen, die aus Altersgründen ihre Arbeit verloren haben und von der Arbeitslosen oder einer niedrigen Pension leben müssen. 

Politisch erwünschte Härte

Dass die Staatsbürgerschafts-Einkommensgrenze für Viele nicht packbar ist, wissen Sigl und Mikl-Leitner ganz genau. Seit 2006 werden InnenministerInnen und Landesverantwortliche mit Kritik an diesem Umstand konfrontiert, von MigratInnen-Beratungen, von den Grünen, von der Volksanwaltschaft. Doch sie und andere relevante Player sahen bisher keinen Grund, die Vorgaben zu ändern: Die Härte ist politisch erwünscht.

Ebenso wissen die EntscheidungsträgerInnen im Innenministerium und anderswo, dass es - abgesehen von Prominenten, die Österreich nutzen sowie Einflussreichen mit guten Beziehungen - keine Ausnahmen von dieser Regel (und anderen strikten Staatsbürgerschaftsvorgaben wie Deutschtkenntnispflichten) gibt. Die Einführung eines "Sondertatbestands" im Staatsbürgerschaftsgesetz für Extremsituationen wie jene Nergers und/oder die vielen anderen Härtefälle - also um diesen die Einbürgerung zu erleichtern - wird seit 1984 (!) von der Volksanwaltschaft angeregt. Und 27 Jahre lang ignoriert.

Das hat bisher niemanden aufgeregt. Und die Beschlussfassung des harten Staatsbürgerschaftsrechts vor sieben Jahren löste in Vielen, die AusländerInnen skeptisch gegenüberstehen, sogar Genugtuung aus: Immerhin ging diese Gesetzesnovelle mit dem Versprechen einher, dass die Schoten gegen die "Ausländerflut" jetzt dichtgeholt worden seien. 

Erkennen, was ist

Was das für Einzelne für Folgen haben kann, war den meisten wahrscheinlich nicht klar. Hätte eine/r - etwa am Stammtisch - eine Geschichte wie jener Nergers erzählt, man hätte ihm wohl so rasch nicht geglaubt. Vielleicht besteht jetzt eine Chance, dass manche erkennen, in welchen Ausmaß die österreichischen Gesetze, die den Umgang mit "Fremden" und deren Aufnahme in den erlauchten Kreis der Hiesigen regeln, ausschließend und kontraproduktiv sind. (Irene Brickner, derStandard.at, 12.5.2012)