"Da steh ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor" - wie Goethes Faust fühlt sich wohl der Großteil der Schul- und Universitätsabsolventen kurz vor ihrem Eintritt ins Berufsleben. Gerade wenn die neuen Chefs sie am ersten Arbeitstag mit den Worten "Vergessen Sie alles, was Sie bisher gelernt haben" begrüßen, wird ihnen klar vor Augen geführt: Auf das "wirkliche Leben" hat sie unser Bildungssystem nicht wirklich vorbereitet. Trotz Unmengen an Theorien und Methodiklehre fehlt vielen Jungakademikern die Fähigkeit, das Wissen auch in der Praxis anzuwenden.

Laut einer Umfrage unter 14.000 deutschen Unternehmen von 2010 beklagten ganze 74 Prozent die mangelnde Qualifikation der Schulabgänger. Der Lernstoff sei zudem nicht relevant genug.

Diese "Bildungslücke" - also die Diskrepanz zwischen dem Bildungssystem und den An sprüchen der Arbeitswelt - wollen die Herausgeber Thilo Baum und Martin Laschkolnig mit ihrem gleichnamigen Buch schließen. Anstatt beim Bildungssystem nur über formale Dinge zu debattieren - etwa Gesamtschule ja oder nein? - geht es den beiden ums Inhaltliche: Was sollten Schul- und Uni-Absolventen wirklich wissen, um in der Arbeitswelt bestehen zu können?

In 20 Kapiteln stellen ebenso viele Autoren jeweils einen wesentlichen Aspekt vor. Von Selbstwert- und Motivationstraining über Rhetorik bis hin zu Medienkompetenz werden dabei hauptsächlich Soft Skills vermittelt. Die Autoren sind allesamt Trainer und Vortragende im Weiterbildungsbereich, daher liest sich das Buch im Grunde wie ein Sammelsurium aus einzelnen Workshops und Seminaren - kurzweilig, informativ und hilfreich. Vorausgesetzt natürlich, man stört sich nicht am Ratgeber-Tonfall.

Den meisten Lehrern und Professoren wird die Lektüre von Die Bildungslücke freilich übel aufstoßen. Etwa, wenn Herausgeber Martin Laschkolnig im Vorwort über die heimischen Lehrpläne lamentiert: "Die Lehrer beschäftigen ihre Zöglinge mit klassischer Literatur, höherer Mathematik und naturwissenschaftlichen Fachwissen. All das sind schöne Dinge, aber wo bleibt das Wesentliche?" Und dass unsere Universitäten vornehmlich als Ausbildungstätte für die Wirtschaft fungieren sollen - wie es den Autoren des Buches in Grundzügen vorschwebt -, dürfte ihnen ebenfalls nicht gefallen.

Aber für Lehrer und Professoren haben sie das Buch ja auch nicht geschrieben. (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, Printausgabe, 12.5.2012)