"Ich putze meinen Heiligenschein nicht" - Peter Hein und seine Band Fehlfarben.

Foto: Julia Hoppen

Standard: Das neue Fehlfarben- Album "Xenophonie" ist im Vergleich zu Ihren letzten Arbeiten sehr zornig ausgefallen. Ist der Eindruck richtig?

Hein: Nein, der Plan war, blöder und alberner zu werden und den Ärzten und Toten Hosen das Wasser abzugraben. Dass wir jetzt schon wieder besser sind, dafür kann ich nichts.

Standard: Der Song "Hygieneporzellan" ist schon eine Steilvorgabe.

Hein: Der Zorn ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ich persönlich kann jetzt milder werden. Wenn man sich anschaut, mit wem man als zorniger Mensch in einen Topf geworfen wird - das wären falsche Freunde. Vielleicht klingen wir musikalisch betrachtet zorniger. Aber mit Musik habe ich nichts zu tun, das müssen Sie meine Band fragen.

Standard: Mit dem Wutbürger ...

Hein: ... möchte ich nichts zu tun haben. Ich denke, dass der Wutbürger genau so viel abbekommt wie seine eigentliche Zielscheibe. Die sind alle gleich scheiße.

Standard: Sie gelten als klassischer Bierdeckelschreiber, der seine Texte spontan im Studio hinwirft. Brauchen Sie diesen Zeitdruck?

Hein: Eigentlich schreibe ich auf gefalteten A4-Blättern, also im A5-Format. Wenn der Zettel voll ist, ist sehr oft auch das Lied fertig. Drei, vier Strophen reichen vollkommen. Die Musikfraktion bei den Fehlfarben kann immer Zeit schinden, das ist bei mir schwieriger. Ich bin ja nicht Bob Dylan oder so ein singender Seminarist. In der Kurz liegt die Wurz.

Standard: Sie kultivieren wie kaum ein anderer deutscher Texter schlechte Laune. Was ist der Grundantrieb für Ihr Schreiben?

Hein: Wenn ich morgens aufwache, habe ich nicht zwangsweise schlechte Laune, im offiziellen Modus schon. Ich geh gern ins Studio oder auf die Bühne. Ich sehe mich nur nicht gern im Kontext von Frohsinnsmusikern. The Clash waren mir immer näher als Peter Alexander.

Standard: Geben Sie Ihrer Band musikalische Richtlinien?

Hein: Nein, ich muss mir immer was vorspielen lassen. Da kommt der Stab der Musiktreibenden und dann wird entschieden, ob der Schlagzeuger Achtelrhythmen klöppelt oder der Bass fröhlich herumhüpft. Das wird in Probesitzungen aufgenommen, oft bleiben nur 30 Sekunden lange Teile über, die man als Ausgangsmaterial nimmt. Manchmal finden alle ein Stück gut, mir fällt dazu aber nichts ein. Da muss ich leider sagen: Geht nicht.

Standard: Gibt es innerhalb der Band auch manchmal Vorbehalte gegenüber Ihren Texten?

Hein: Wenn, dann werden sie subtil vorgetragen. Manchmal hintergeht man die Texte dann durch sogenanntes Kaputtproduzieren.

Standard: Schreiben Sie jeden Tag?

Hein: Nein. Ich habe keinen Stundenplan. Wenn ich keinen Auftrag habe, mache ich nichts. Ich schreibe nicht für meinen Nachlassverwalter. Das wäre eine Verschwendung von Zeit, Kugelschreibern und Papier. Mich nervt, wenn ich mir was aus den Fritten saugen soll, und ich weiß nicht, warum. Für die Schublade? Ich habe keinen Mitteilungsstau und auch keine Geschichten im Kopf. Auf der neuen Platte gibt es Texte, die habe ich geschrieben, während die Band essen war.

Standard: Die neuen Liedtexte kreisen mit galligem Humor um Themen wie prekäre Arbeitsverhältnisse und triste Zukunftsaussichten. Wie hoch ist der autobiografische Anteil?

Hein: Ja, das ist halt so. Meine Situation ist jene eines 17-jährigen Schulabbrechers, der in den Rock 'n' Roll einsteigen will. Der hört dann mit 20 oder 25 wieder mit der Musik auf, geht in die Stadtverwaltung oder wird Kulturfunktionär oder, wie früher die Fußballer, Trafikant: Oder er macht am Naschmarkt Büdchen auf. Alles, was schlechter wird, wird einem als das Bessere verkauft: "Ihr habt es gut, Ihr braucht euch einmal nicht mehr mit der Rente herumplagen und doofe Anträge ausfüllen. Ihr braucht nicht mehr alt werden, wir bringen euch vorher um." Super.

Standard: Bereuen Sie Ihre einstige Lebensentscheidung, nach dem Debütalbum "Monarchie und Alltag" nicht Berufsmusiker und berühmt werden zu wollen und lieber einen kleinen Bürojob angenommen zu haben?

Hein: Nein. Alles ist in Ordnung, wie es ist, auch wenn es scheiße ist. Der Preis, Campino von den Toten Hosen zu sein, ist hoch. Man muss mit Leuten rumhängen, mit denen man nichts zu tun haben will, in Schlafsäcken schlafen oder es mit lebensbedrohlichen Substanzen zu tun bekommen. Man kennt seine eigenen Kinder nicht. Das hätte ich bei aller Sympathie nicht gerne gehabt. Die Udo Lindenbergs und BAPs und der ganze Deutschrock sollen natürlich downgeloadet werden, bis sie verhungern. Ich lasse mir die Existenz oder Nichtexistenz meiner Band nicht vom Geschmack des Publikums oder irgendwelchen Märkten vorschreiben. Wenn uns niemand will, soll es uns immer noch geben - solange ich es selbst ertrage.

Standard: Sie haben historisch gesehen mit den Fehlfarben den Nimbus ...

Hein: ... besser als die anderen zu sein, ja. Das ist schon herrlich. Von 1980 bis heute haben wir von "Monarchie und Alltag" 250.000 Stück verkauft. Geteilt durch sechs bleibt da insgesamt für jeden ein schöner Urlaub übrig. Ich bin leider ein fauler Mensch, ich putze meinen Heiligenschein nicht. Der gammelt irgendwo in einer Ecke vor sich hin und sieht aus wie eine verstaubte Testpressung. Er ist einfach nicht mehr schön.

Standard: Was war Ihr musikalisches Initiationserlebnis?

Hein: Im reifen Alter von 18 oder 19 waren das wohl die Rolling Stones oder The Who. Ich wollte deshalb aber nicht gleich Gitarrenunterricht nehmen. Ich habe nicht einmal Luftgitarre gespielt.
(Christian Schachinger, DER STANDARD, 12./13.5.2012)