Sabine Bösel ist Paartherapeutin. Sie und ihr Mann arbeiten gemeinsam nach der Imago-Methode.

Foto: Standard/Robert Newald

Walter Hoffmann ist Psychoanalytiker im Institut IFAT (Institut für angewandte Tiefenpsychologie) in Wien

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Beziehungen in der Krise: Was bringt Paare in dieser Situation dazu, eine Therapie zu beginnen? Für den Psychoanalytiker Walter Hoffmann spielen Sexualität und Biologie Schlüsselrollen. Therapien kann nicht heilen, sagt er. Die Imago-Therapeutin Sabine Bösel widerspricht ihm vehement.

STANDARD: Warum scheitern Liebesbeziehungen?

Hoffmann: Meist spielen biologische Gründe eine entscheidende Rolle. Im Laufe einer Beziehung, meist nach sieben bis zehn Jahren, lässt die sexuelle Anziehung bei Paaren nach, ein Gewöhnungseffekt tritt ein. Unser Nervensystem reagiert auf gewohnte Reize immer schwächer. Das gilt auch für die Sexualität und ist der Grund für Seitensprünge. Nach 16 Jahren findet laut Studien in Beziehung kaum mehr Sex statt.

Bösel: Das sehe ich nicht so pessimistisch. Beziehungen scheitern, weil sich Paare auseinanderleben, den Bezug zueinander verlieren. Oft passiert das nach dem zweiten Kind, durch Stress in der Arbeit. Die Imago-Paartherapie ist eine Möglichkeit, wieder miteinander in Kontakt zu treten. Denn grundsätzlich gehen wir davon aus, dass Partnerwahl nichts Zufälliges ist.

STANDARD: Warum nicht?

Bösel: Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch durch die Bezugspersonen aus seiner Kindheit geprägt ist. Das kann man sich als eine Art Strichcode vorstellen. Meistens verliebt man sich in Menschen, die diesem Strichcode entsprechen. Anziehung passiert, wenn eine Seelenverwandtschaft da ist oder wenn man Gegensätzliches entdeckt. Der Imago-Ansatz ist, durch den Partner in seiner Persönlichkeit zu wachsen. Dabei entstehen aber nicht selten auch Machtkämpfe.

Hoffmann: Verliebtheit ist ein Trick der Natur im Dienste der Fortpflanzung. Menschen verlieben sich, noch bevor sie den Strichcode des anderen kennen. Aussehen und sozioökonomische Bedingungen, das "Revier", spielen eine wichtige Rolle. Biologisch besteht ein gravierender Unterschied zwischen den Geschlechtern: Frauen wurde durch Schwangerschaft evolutionär die Hauptlast der Fortpflanzung auferlegt. Bei der Kinderaufzucht sind sie viel stärker auf den Partner angewiesen, während der Mann nach erfolgter Zeugung sich theoretisch gleich der nächsten Frau zuwenden kann. Aus diesem biologischen Ungleichgewicht ergeben sich Unterschiede im Sexual- und Beziehungsverhalten.

STANDARD: Verbindet Elternsein denn nicht?

Hoffmann: Schon, aber es schadet der Verliebtheit, und die fördert die Beziehungsbildung. Da Verliebte meist nur Augen für sich selbst haben, würde das später die Kinderaufzucht stören. Wenn die Kinder selbstständiger werden, gewinnen auch Frauen wieder mehr Selbstständigkeit, orientieren sich in ihren sexuellen Interessen wieder stärker nach außen. Ein "Liebeskiller" ist das, was wir psychoanalytisch als Übertragung bezeichnen. Je sicherer und familiärer eine Beziehung wird, umso eher besteht die Gefahr, dass infantile Wünsche aus der Eltern-Kind-Beziehung auf die aktuelle Partnerschaft übertragen werden. Die unbewusste Gleichsetzung des Partners mit einem Elternteil bringt das Inzesttabu ins Spiel. Die Beziehung wird asexuell.

Bösel: So sehe ich das nicht. Jeder Mensch will von Geburt an lernen und wachsen, auch in einer Beziehung. Wenn in der Sexualität nichts mehr läuft, hat das meist etwas mit einer Verletzung zu tun, die dann der Auslöser für die Distanzierung ist. Ich als Therapeutin frage in einer Paartherapie dann: "Gibt es etwas zu verzeihen?" Meist kommen gravierende Dinge ans Tageslicht. Von dort aus lässt sich weiterarbeiten. Ich bohre nach, suche nach vergleichbaren Situationen in der Kindheit. Sehr oft sind es ja die Muster aus der Kindheit, die sich in ähnlichen Konstellationen in der Partnerschaft wiederholen. Wenn Partner in einer Therapie von diesen verborgenen Grundmustern erfahren, kann eine Heilung durch gegenseitiges Verständnis stattfinden.

Standard: Wie sieht das die Psychoanalyse?

Hoffmann: Anders. Verzeihen hat für mich etwas Gönnerhaftes, mir reicht Verstehen vollkommen aus. Ehrlich gesagt, geht es mir mit solchen Theorien wie Imago sehr schlecht, denn wie sollte jemand ernsthaft glauben, dass sich die Folgen von kindlichen Traumatisierungen durch Erinnern und Verzeihen aus der Welt schaffen lassen. Wir werden weitgehend von irrationalen Gefühlen und Fantasien gesteuert und nicht vom "freien Willen". Die Imago-Therapie agiert in völliger Unkenntnis des Unbewussten. Aus meiner Sicht bedienen Sie ein religiöses Bedürfnis der Menschen und pflegen das Wunschdenken. Das ist für mich unredlich, denn Klienten müssen solche Heilsversprechen teuer bezahlen.

STANDARD: Heißt das, die Paartherapie an sich ist sinnlos?

Hoffmann: Freud hat schon gesagt: Das, was Psychoanalyse leisten kann, ist, neurotisches in reales Elend zu verwandeln. Eine Therapie heilt nicht, sie ist ein Werkzeug. Der Mensch kann sich nur selbst heilen. Es geht darum, die eigene Begrenztheit zu akzeptieren. Im Laufe seiner Entwicklung muss sich ein Kind damit abfinden, dass es nicht das Wichtigste auf der Welt ist. Die Fähigkeit, mit den unvermeidlichen Niederlagen im Leben fertig zu werden, formt den Charakter und entscheidet über die Liebes- und Beziehungsfähigkeit eines Menschen.

Bösel: Das klingt sehr pessimistisch. Jeder trägt seinen Teil zur Beziehung bei, ist Täter und Opfer gleichzeitig. Man braucht ein paar Sitzungen, um eigene Sackgassen zu sehen. Wir suchen die Kränkungen in der Kindheit, Paare teilen sie sich in Dialogen mit.

Hoffmann: Aber erzählt werden kann doch nur, was bewusst ist ...

Bösel: Die Paare gehen zurück in ihre Kindheit, erinnern sich wieder an Verletzungen.

Hoffmann: Aber Erinnerungen und Übertragung sind doch nicht dasselbe. Erinnern löst keine Konflikte. Das wirkliche Trauma ist den meisten Menschen nicht bewusst und damit nicht zugänglich. Wie geht denn Imago mit wilden sexuellen Fantasien um?

Bösel: Wenn Partner füreinander Mitgefühl aufbringen, ist vieles möglich.

STANDARD: Wann ist eine Paartherapie erfolgreich?

Bösel: Kommt darauf an, was man als Erfolg bezeichnet. Ich begleite Paare seit 20 Jahren. Es gibt Partner, die trotz starker Zerwürfnisse wieder zusammenkommen, andere trennen sich. Auch eine glückliche Scheidung kann ein gutes Ergebnis sein. Was ich regelmäßig erlebe: Wenn Paare an sich arbeiten, die Imago-Dialoge in die Beziehung etablieren, kommen sie auch wieder zusammen. Eine Statistik über den Erfolg der Methode führen wir aber nicht.

Hoffmann: Wenn eine Beziehung fortbesteht, dann sicher nicht wegen der Imago-Dialoge. Ich verstehe gar nicht, wie ein erwachsener Mensch sich auf diese infantilisierte Kommunikation - einer spricht nach, was der andere vorsagt - einlassen kann. Das ist demütigend.

Bösel: Die Kommunikation ist vielleicht ritualisiert, die Inhalte nicht. Diese Methode führt dazu, dass Partner sich ausreden lassen, sich wieder zuhören. Durch die Rituale wird Kommunikation verlangsamt. Das schafft Sicherheit und ermöglicht es Menschen, sich leichter voreinander zu öffnen. So können Konflikte sehr gut gelöst werden.

Hoffmann: Menschen in Paartherapie sagen doch nicht, was sie wirklich denken. Meist wird abgesprochen, was in der Sitzung nicht zur Sprache kommen darf. Eine Paartherapie ist dann erfolgreich, wenn sie dazu führt, dass infantile, überhöhte Erwartungen zugunsten einer realistischen Weltsicht aufgegeben werden. Mitunter ein schmerzhafter Prozess.

Bösel: Das klingt hoffnungslos für mich. Ich denke, Veränderung ist vor allem auch durch Begeisterung möglich.

STANDARD: Wann sind also Langzeitbeziehungen möglich?

Hoffmann: Ich denke, es ist realistischer, von Lebensabschnittsbeziehungen zu sprechen. Trennungen erfordern Mut. Wenn man älter wird, stellen sich die Probleme anders dar. Es ist vielleicht mit 60 nicht mehr so einfach, einen neuen Partner zu finden. Da bleibt man zusammen, weil die Vorteile überwiegen. Wenn eine Beziehung scheitert, hat das nie etwas mit einer persönlichen Schuld zu tun. Wir werden aus dem Unbewussten von Kräften gesteuert, gegen die wir mit unserem Wollen nur wenig ausrichten können.

Bösel: Ich selbst lebe in einer Langzeitbeziehung, weiß, was ich sehe und wie es sich anfühlt. Es geht darum, sich als Person Platz in einer Beziehung zu schaffen, sich frei zu fühlen. Wichtig ist, sich immer weiterzuentwickeln. Dann kann es nicht langweilig werden.

Hoffmann: Die innere Ablöse von den Eltern und ihren Werten und die Ausbildung einer autonomen Persönlichkeit sind Grundfesten des Erwachsenseins und damit Beziehungsfähigkeit fernab pseudoreligiöser psychologischer Glaubenssätze und Vorstellungen von Seelenverwandtschaft. (Karin Pollack, DER STANDARD, 14.5.2012)