Vier vertikale Zahlenreihen des neu entdeckten Maya-Kalenders. Sie beziehen sich auf Mond und Sonne, womöglich Mars und Venus - und reichen 7.000 Jahre in die Zukunft.

Foto: William Saturno and David Stuart / National Geographic

Die Forscher glauben, dass die auf den Gebäudewänden dargestellten Figuren Männer in Uniform darstellen.

Foto: Tyrone Turner © 2012 National Geographic

Washington/Wien - "So etwas haben wir noch nie zuvor gesehen", sagt David Stuart. Damit gemeint sind zwei vollständig mit Hieroglyphen und anderen Malereien bedeckte Wände, die der Maya-Spezialist von der University of Texas in Austin mit Kollegen in einer Maya-Anlage in Guatemala entdeckte und entschlüsselte.

Das Gebäude, in dem sich die ebenso einzigartigen wie rätselhaften Wandmalereien fanden, ist Teil einer größeren Wohnanlage in den Maya-Ruinen von Xultun und dürfte aus dem 9. Jahrhundert stammen. US-Forscher um David Stuart und William Saturno (Uni Boston) gehen davon aus, dass es sich um das Haus eines Kopisten gehandelt haben dürfte, der das Wissen auf den Wänden festhielt.

Zwar wurde ein Großteil der Zimmer von Plünderern beschädigt. Doch was an menschlichen Figuren sowie roten und schwarzen Hieroglyphen erhalten geblieben ist, wird die Forscher wohl noch eine Zeit lang beschäftigen. Im Fachmagazin "Science" und parallel dazu in "National Geographic" legen die Entdecker eine erste Analyse der Inschriften vor, die sie zum frühesten bekannten Maya-Kalender erklären. Offensichtlich ist, dass diese Hieroglyphen viel älter sind als die auf Rinde festgehaltenen Kalendarien.

Männer in Uniform

Stuart, Saturno und Kollegen deuten die Abbildungen der Menschen jedenfalls als Männer in Uniform. Die hunderten Zeichen stehen laut den Archäologen im Zusammenhang mit dem 260-tägigen Festkalender der Maya und dem 365-tägigen Jahreskalender. Numerische Hieroglyphen auf der östlichen Wand werden wiederum als kalendarische Berechnungen gedeutet, die im Zusammenhang mit dem Mondzyklus stehen.

Die Hieroglyphen auf der Nordwand seien rätselhafter, schrieben die Wissenschafter. Die Zahlen dürften sich auf den 584-tägigen Zyklus des Planeten Venus und den 780-Tage-Zyklus von Mars beziehen und bis zu 7.000 Jahre weit in die Zukunft reichen. Der vermutete Zweck der Wandkalender: Die Maya hätten damit berechnet, wann der beste Zeitpunkt für ihre zum Teil recht grausamen Feste und Rituale war.

Keine Endzeit

So ganz nebenbei wird damit auch esoterischen Weltuntergangsprophezeiungen, die sich auf eine Fehlinterpretation der Maya-Kalender beziehen, der Boden unter den Füßen weggezogen. "Die alten Maya sagten voraus, dass die Welt fortbestehen und in 7.000 Jahren alles noch genau sein wird wie damals", erklärte Saturno. "Wir suchen heute immer nach Hinweisen darauf, dass die Welt untergeht, während die Maya dagegen stets Beweise dafür gesucht haben, dass sich nichts verändert", fügte der Forscher hinzu. "Das ist eine völlig andere Geisteshaltung." (red/tasch, DER STANDARD, 11.5.2012)