Ein Haus, in dem die Zukunft einziehen darf und sich die Vergangenheit spiegelt: Helvetia Patria in St. Gallen von den Architekten Herzog & de Meuron, aufgenommen von Spiluttini 1994.

Foto: Margherita Spiluttini

Graz - Das Aufeinandertreffen von Vergangenheit und dem, was wir Gegenwart nennen, ist in den Fotografien Margherita Spiluttinis die Hauptgeschichte, die sie unumwunden erzählt. Arbeiten der renommierten, in Wien lebenden, Architekturfotografin werden derzeit in Graz in der Camera Austria in der Ausstellung "und dann (refraiming architecture)" gezeigt.

Vorherrschend unter den Gebäuden etwa in Österreich, Frankreich oder der Schweiz, die Spiluttini mit ihrem nüchternen, aber niemals kalten Blick festhielt, sind Aus- und Umbauten, wo sich alte Bausubstanz mit zeitgenössischer Architektur verbindet. Ob in privaten Wohnungen oder Museumsgebäuden: Immer fokussiert Spiluttini, die 1995 an multipler Sklerose erkrankte und seit 2006 auf den Rollstuhl angewiesen ist, auf diesen Schnittpunkt zwischen Neu und Alt. Oft liegt er in Details, die auf ersten Blick verborgen bleiben.

Und sie nimmt den Betrachter mit: Ganz nah an Fassaden heran, wo man auch die feinsten Unebenheiten wahrnimmt; tief in die Räume hinein, wo sie in Ecken schaut, in denen das Licht besonders sanft eindringt, sich spiegelt oder sich scharf auflöst. Nichts ist gestellt, nichts inszeniert. Jeder der Orte, den Spiluttini aufnahm, wirkt einladend.

Aber auch völlig neu errichtete Gebäude können einen Dialog mit ihrer Umgebung aufnehmen - wenn man sie lässt. Ganz offensichtlich interessieren Spiluttini jene Situationen nicht, in denen sich neue Bauten möglichst unauffällig und schmiegsam in eine vorgefundene historische Gruppierung von Häusern oder altem Mauerwerk einfügen. Eine "radikale Zurkenntnisnahme des Vorgefundenen", wie es die Fotografin selbst nennt, dafür umso mehr. Und genau diese Art von "Zurkenntnisnahme" zeitgenössischer Architekten ist auch die treffendste Beschreibung für Spiluttinis Art, attraktive Narben im Zeitgefüge zu dokumentieren.

Durch die Tiefenschärfe ihrer Bilder rücken diese so nahe, dass man meint, den Wind im Laub vor Pariser Wohnhäusern oder das Murmeln der Menschen in der weiten Eingangshalle der Tate Modern in London (beides Arbeiten der Architekten Herzog & de Meuron) zu hören.

In einem temporär abgetrennten Raum der Camera Austria sind auch mehrere Dias zu einigen ihr besonders wichtigen Projekten von den frühen 1990er-Jahren bis 2008 ausgestellt. Darunter die Wohnhausanlage Spittelau von Zaha Hadid sowie fast gespenstische Einsichten von 1993 und 1994 in das Alte AKH vor dem Umbau oder ein Dachbodenausbau der Architekten lichtblau.wagner.

Es ist eine glückliche Fügung, dass diese Ausstellung Spiluttinis ausgerechnet im Eisernen Haus gezeigt wird, in dem sich Galerie und Redaktion der Camera Austria seit rund zehn Jahren befinden. Dieses Eiserne Haus war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wegen seiner sichtbaren Eisenkonstruktion selbst modernes Symbol der Industrialisierung. Durch den Bau des Kunsthauses, dieser in die mittelalterliche Dachlandschaft von Graz gesetzten blauen Blase mit der gläsernen "Needle", wurde von den Architekten Peter Cook und Colin Fournier ein Bruch zwischen mehreren Epochen effektvoll inszeniert.

Ein Bild dieser beiden zusammengewachsenen Gebäude durfte in dieser Schau natürlich nicht fehlen. Spiluttini wählte aber nicht den - mittlerweile auch auf Ansichtskarten gerne verwerteten - Blick von oben, also vom Schlossberg, um den "Friendly Alien", wie das Haus in Graz genannt wird, zur porträtieren. Sie entschied sich für die eigentlich spannendere Perspektive von der Murseite: An einem kleineren Ausschnitt kann man genau sehen, wo Needle, Bubble und Eisernes Haus zusammenkommen.

Dabei nahm sie der Blase das oft von Fotografen inszenierte Monströse. Stattdessen spiegelt sich warmes Licht in dem Bau und bettet ihn in den ganz normalen Alltag einer Stadt ein. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 11.5.2012)