Wochenstube der Schnurrbartfledermaus (Pteronotus parnellii) in einer kubanischen Höhle. In der ersten Lebenswoche ist das Innenohr für ortungsrelevante Schallfrequenzen zwar noch unempfindlich, die entsprechenden Anlagen im Gehirn sind dagegen bereits vorhanden.

Foto: AK Kössl, Goethe Universität

Ein großer Teil der Großhirnrinde von Fledermäusen ist damit beschäftigt, aus reflektierten Echosignalen ein Abbild der Umgebung zu erstellen. Nun hat ein internationales Forscherteam festgestellt, dass diese Fähigkeit bereits bei der Geburt vorhanden ist.

"Diese angeborene Anlage im Gehirn ist erstaunlich, da die Tiere in der ersten Woche nach der Geburt noch nicht echoorten und flugunfähig sind", meint Manfred Kössl vom Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Die Fähigkeit, im Gehirn ein internes Abbild des externen Raumes zu schaffen, begründet den evolutionären Erfolg vieler höher entwickelter Tiere. Dazu werden vor allem Sinnesreize von Augen, Ohren und Tastsinn miteinander verrechnet.

Unsensitives Innenohr

Fledermäuse erkunden den Raum darüber hinaus aktiv, indem sie Ultraschallsignale aussenden und über die Echo-Verzögerungszeiten in ihrem Hörkortex ein präzises Abbild der Raumtiefe erstellen. Allerdings ist das Innenohr der Fledermäuse in der ersten Lebenswoche noch relativ unsensitiv für die Wahrnehmung von ortungsrelevanten Schallfrequenzen. Umso erstaunlicher ist es, dass die zur Verarbeitung dieser Frequenzen vorhandenen Neuronen in den höheren Hirnregionen bereits funktionsfähig sind. Das haben die Forscher nachgewiesen, indem sie die Reaktion der jungen Fledermäuse auf Verzögerungssignale untersuchten. Ein wichtiger Teil der Daten wurde dabei in der Doktorarbeit von Cornelia Voss erhoben.

Ein weiteres überraschendes Ergebnis der Studie: Derartige angeborene neuronale Schaltkreise zur Echoortung finden sich bei Fledermausspezies, die völlig unterschiedliche Echoortungsstrategien zur Futtersuche verwenden. Die in Kössls Frankfurter Institut heimische Fledermauskolonie der Gattung Carollia perspicillata ernährt sich von Früchten, während die auf Kuba ansässige Pteronotus parnellii ein Insektenfresser ist und dementsprechend eine größere Geschicklichkeit beim Jagen braucht. Es ist also anzunehmen, dass die bereits bei Geburt angelegte Fähigkeit zur Raumwahrnehmung die Überlebenschancen der jungen Fledermäuse generell erhöht, sobald sie mit der aktiven Erkundung ihrer Umgebung beginnen - nicht nur bei der Nahrungssuche, sondern auch auf der Flucht.

Evolutionärer Schwerpunkt

"Es scheint ein allgemeines Prinzip zu sein, dass Raumwahrnehmung auch in einem aktiven Sinnessystem im Kant'schen Sinne a priori festgelegt ist und vermutlich eine evolutive Schwerpunktsetzung widerspiegelt", folgert Kössl.

Die Forscher schließen nicht aus, dass sich die bereits angelegten neuronalen Netzwerke durch spätere Erfahrungen verändern, wie dies auch in anderen Säugetieren der Fall ist. Vermutlich kommt es zu verstärkter Ausbildung neuer Verknüpfungen zwischen Nerven während der ersten Jagdflüge junger Fledermäuse im Alter von etwa vier bis sechs Wochen. (red, derstandard.at, 12.5.2012)