Lassen Sie sich einfach anzeigen. Wenn dann einmal 300 Anzeigen gegen Sie vorliegen, berufen Sie sich vor Gericht auf ein Gutachten, das Ihr Verhalten als "gesetzeskonform" bezeichnet. Autor dieses Gutachtens sollte Ihr eigener Anwalt sein, mit dem Sie schon zuvor ein Buch zum Thema "Gesetzliche Grundlagen der Parkraumbewirtschaftung in Österreich" veröffentlicht haben. Der Richter wird das Verfahren gegen Sie einstellen, mit der Begründung, dass Ihre Rechtfertigung, Sie hätten sich beim Abstellen Ihres Fahrzeuges auf besagtes Gutachten verlassen, nicht widerlegbar sei und Ihnen ein "allfälliger Rechtsirrtum nicht vorwerfbar ist".

Etwaige Einwände, wonach der Rechtsgrundsatz "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht" sogar in Österreich gelte, können Sie getrost vernachlässigen, denn dass diese Vorgehensweise tatsächlich funktioniert, wurde unlängst von der Staatsanwaltschaft St. Pölten bewiesen. Diese hat rund 300 Anzeigen von Kriminalpolizei, Finanzämtern und Spielern gegen den Glücksspielkonzern Novomatic abgeschmettert und sich dabei auf das Gutachten eines Anwalts berufen, der nicht nur für die beschuldigte Firma gearbeitet hat, sondern auch gemeinsam mit deren Generaldirektor ein Buch über das Glücksspielgesetz verfasst hat.

Darüber, wie es zu dieser erstaunlichen Rechtsauslegung gekommen sein mag, gibt es zwei Theorien. Die erste verweist auf die Tatsache, dass bei in heimischen Jugendgefängnissen Inhaftierten Automatenspielsucht bereits Drogen als häufigstes Kriminalitätsmotiv abgelöst hat. Ein Staatsanwalt, der dem Automatenglücksspiel hilfreich zur Seite steht, handelt demzufolge aus ähnlichen ökonomisch eigennützigen Gründen wie ein Lungenfacharzt, der eine Kampagne für das Rauchen unterstützt.

Das andere Erklärungsmodell basiert auf Erkenntnissen des Landeskriminalamtes, wonach "durch die Novomatic-Gruppe massives Lobbying (Politik, Beamte, etc.) zugunsten dieser Automaten betrieben wird". Mit der Frage, wo in diesem Fall die Grenzen zwischen Lobbying, Parteienfinanzierung und Bestechung liegen, wird sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss ja demnächst beschäftigen.

Doch die Begeisterung der Politik für die Branche der ein- und mehrarmigen Banditen hat möglicherweise noch andere Ursachen. Zum Beispiel die neidvolle Bewunderung der kreativen Raffinesse, mit der dort der Gesetzgeber vermeintliche Geschäftsbeschränkungen festlegt. Vor zwei Jahren wurde das Höchsteinsatzlimit bei den umstrittenen Automaten von 50 Cent auf 10 Euro pro Spiel verzwanzigfacht und gleichzeitig eine Mindestspieldauer von einer Sekunde erlaubt, wodurch man nun in einer Minute 600 Euro verspielen kann. Da kann der gemeine Volksvertreter noch was lernen.

Und vielleicht tut er das ja auch. Wenn also demnächst das "Anfüttern" von Politikern ab einem Gegenwert von 100 Euro verboten wird, sollte man sicherheitshalber auch einen Mindestzeitraum definieren, der zwischen einzelnen 99,90 Euro-Zuwendungen vergangen sein muss. (Florian Scheuba, DER STANDARD, 10.5.2012)