Bild nicht mehr verfügbar.

US-Skandalautor und Fake-Dokumentarist James Frey schreibt das letzte Testament.

Foto: AP/Matthews

Wien - Evangelist Lukas ist ein Sohn aus reichem Hause unten in den Südstaaten. Nach dem Auseinanderbrechen seiner Familie wurde er cracksüchtig und stieg hinunter in die Hölle auf Erden. Dank des Christengottes wurde er aber errettet und ging nach New York. Er wurde ein Mann der Kirche und traf dort auf ihn, den neuen Messias, von dem uns Lukas in Das letzte Testament der Heiligen Schrift diesen einen zentralen Satz überliefert: "Wenn es einen Teufel gäbe, dann wäre der Glaube seine größte Erfindung."

US-Autor James Frey ist nicht der einzige Autor aus dem angloamerikanischen Raum, der sich in jüngster Zeit mit der Erlöserthematik beschäftigte. Vom Briten Philip Pullman etwa liegt seit dem Vorjahr mit Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus in deutscher Übersetzung ein ähnlich radikal an den Grundfesten des christlichen Glaubens rüttelndes Stück Belletristik vor.

Wenn aber James Frey in seinem nun auf Deutsch veröffentlichten Roman die Existenz Gottes ganz allgemein infrage stellt und dem ein hippieskes Modell einer hierarchiefreien Gesellschaft gegenüberstellt, ist das noch einmal etwas ganz anderes. Immerhin ist der Mann als Produzent literarischer Skandale beinahe schon einmal an seinen Provokationen gescheitert.

Der heute 44-jährige James Frey veröffentlichte nach jahrelangen Versuchen, mit seinem Debütroman Tausend kleine Scherben bei einem US-Verlag unterzukommen, diesen schließlich 2003 als Autobiografie, der ein Jahr später ein zweiter Teil namens My Friend Leonard folgte. Darin inszenierte sich Frey als ehemaliger Krimineller, Crack- und Alkoholsüchtiger in der Gosse. Nicht nur die US-Kritik sah sich zu Lobpreisungen dieser schonungslosen und wahrhaftigen Lebensbeichte veranlasst. Als Gast des zu Tränen gerührten Talkshow-Superstars Oprah Winfrey katapultierte sich Frey auch in die Bestsellerlisten.

Dummerweise fanden Internetrechercheure keinerlei diesbezügliche Polizei- und Gefängnisakten. Frey musste den autobiografischen Fake zugeben und wurde zur dank 6,5 Millionen verkaufter Romane finanziell gut aufgestellten Persona non grata.

Der letzte Auserwählte

Mit Strahlend schöner Morgen gelang James Frey zwei Jahre später ein vielstimmiger Großstadtroman im Stile von Dos Passos' Manhattan Transfer. Teile der Kritik waren versöhnt. Der eigenartige Vorwurf an ihn, schriftstellerisch Realität vorzutäuschen blieb.

Auch Das letzte Testament der Heiligen Schrift ist wieder als dokumentarischer Roman angelegt. 13 "Apostel" treten auf, um Zeugnis abzulegen. Keck bedankt sich Frey bei allen am Ende des Romans, insbesondere bei Ben Zion Avrohom, dafür, dass er unter uns wandelte.

Ben Zion, ein unauffällig als Hilfsarbeiter in einem New Yorker Sozialbau lebender Mann, ist der letzte Auserwählte. Nach einem unfassbar brutal geschilderten Arbeitsunfall müsste er eigentlich tot sein. Er entwickelt aber ungeahnte Überlebenskräfte und die Gabe, Wunder zu tun. Er wird zum Verkünder einer frohen Botschaft in Zeiten des Untergangs. Wohl wissend, dass diese Welt rettungslos verloren ist, verdammt er die Religionen, predigt freie Liebe und kommunitaristisches Leben. Er erfährt die letzten Monate seines Lebens aber als ausweglose Passionsgeschichte.

Im einerseits weihevollen Tonfall, anderseits pseudodokumentarischen Stil der mündlichen Rede geht es nicht nur um theologische Kernprobleme, sondern auch in Regionen, in denen sich Charles Bukowski und andere große US-Desillusionisten gut zurechtfinden. Am Ende steht ein Satz dreimal: "Ich liebe dich." James Frey versteht sein Geschäft. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 10.5.2012)