Thematisiert die eigene Familiengeschichte: die Saxofonistin Matana Roberts.

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Wien - Es war schon amüsant: Als 2011 Matana Roberts' tief in der Free-Jazz-Tradition der 1960er-Jahre verwurzeltes Opus "Coin Coin Chapter One: Gens de couleur libres" veröffentlicht wurde, schrieben plötzlich zahlreiche Rockjournalisten mit staunender Begeisterung über eine Musik, der sie sich, wäre sie mit dem "Jazz"-Etikett versehen gewesen, vielfach nur mit schwerem Atemschutzgerät genähert hätten.

Der Grund: "Gens de couleur libres" wurde auf Einladung des kanadischen Indie-Rock-Labels Constellation produziert und ebendort veröffentlicht. Eine ebenso ungewöhnliche wie fruchtbare Liaison, denn das Werk, das Roberts, die 34-jährige Chicagoer Saxofonistin aus dem Dunstkreis der traditionsreichen Avantgarde-Jazz-Kooperative AACM, mit Musikern aus Montreal einspielte, hatte und hat unbestreitbare Qualitäten: Die hochexpressiven, freien Altsaxofon-Improvisationen lösen sich im Rahmen dieses klug konzipierten Konzeptalbums einmal in lockere, Rockgitarren-unterstützte Grooves, dann wieder in raffinierte kammermusikalische Parts auf, sie verbinden burleske Honky-Tonk-Blues-Einlagen, Spoken-Wort-Passagen, die mitunter in erschütternden Schreie gipfeln, wie auch getragene Choräle des 16-köpfigen Ensembles.

Roberts' Traditionsverständnis ist ein offenes, zeitgemäßes, und sie erdet es auf sehr persönliche Weise: Roter Faden durch jene plastische akustische Bild-Collage ist die eigene Familiengeschichte, die die Afroamerikanerin Roberts ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt und exemplarisch mit der Biografie von Marie Thérèse Metoyer alias Coincoin (1742-1816) verschränkt, die einst als befreite Sklavin zur erfolgreichen Gutsbesitzerin in Louisiana aufstieg. Das historisch-musikalische Projekt ist übrigens auf zwölf Kapitel angelegt. Welches im Zuge von Roberts' beiden Österreich-Konzerten in Wien und Wels erklingen wird, bleibt offen: Sie wird solo auftreten.  (Andreas Felber, DER STANDARD, 9.5.2012)