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Vor kurzer Zeit noch ein scharfer Kritiker der Regierung, jetzt Vizepremier: Shaul Mofaz (re.) von der Kadima bei einer Pressekonferenz mit Netanjahu.

Foto: REUTERS/Ammar Awad

Statt vorgezogenen Wahlen bekommen die Israelis das Gegenteil: In der Nacht auf Dienstag tagte das Parlament in Jerusalem, um die Selbstauflösung zu beschließen und den 4. September als Wahltermin zu verkünden, doch in der Früh erfuhren dann die Reporter und das Publikum zur allgemeinen Verblüffung, dass die Regierung unter Benjamin Netanjahu erweitert wird und bis zum Ende der Legislaturperiode im Oktober 2013 einzementiert ist.

Möglich wurde das innenpolitische Auferstehungswunder durch eine Kehrtwende des bisherigen Oppositionschefs Shaul Mofaz, der erst Ende März als Nachfolger der früheren Außenministerin Zipi Livni zum Vorsitzenden der Zentrumspartei Kadima gewählt worden war und nun plötzlich einen Pakt mit Netanjahu geschlossen hat. "Das Ziel waren nicht die Wahlen, sondern Stabilität", erklärte Netanjahu, "ich habe verstanden, dass es möglich ist, die Stabilität wiederherzustellen, ohne Wahlen abzuhalten." Mit 94 der 120 Abgeordneten hat der rechtskonservative Premier nun die breiteste Parlamentsmehrheit, die es je gab.

"Historischer Schritt"

Nach ihrer gemeinsamen Pressekonferenz im Knesset-Gebäude gingen die beiden frisch verbundenen Partner umschlungen ab. Zuvor hatten Journalistenfragen Mofaz daran erinnert, dass er Netanjahu vor nicht so langer Zeit noch als "Lügner" bezeichnet und den Eintritt in die gegenwärtige Regierung kategorisch ausgeschlossen hatte.

Jetzt rechtfertigte Mofaz den "historischen Schritt" damit, dass "die Einheit wichtig für die Zukunft des Landes ist - Israel steht vor einer schicksalhaften Kreuzung und muss seinen Weg wählen." Es sei etwa vereinbart worden, rasch ein umstrittenes Gesetz durchzubringen, dass den Wehrdienst der streng religiösen Männer regeln soll. Daneben solle jener "Mehrheit" in Israel Gehör verschafft werden, die "für einen historischen territorialen Kompromiss mit unseren palästinensischen Nachbarn" sei. Und mit dem breiten Konsens im Rücken werde man "besonnen und mit höchstem Verantwortungsbewusstsein" mit der "Bedrohung aus jeder Entfernung" umgehen - eine Anspielung auf das iranische Nuklearprogramm.

"Lächerliches Zickzack"

Allen Zuhörern war indessen klar, dass Mofaz wohl vor allem auf die Umfragen geschaut hatte. Seine Kadima ist im jetzigen Parlament mit 28 Mandaten die stärkste Partei, wäre bei Neuwahlen aber auf rund ein Drittel zurechtgestutzt worden. Doch jetzt wird Mofaz eineinhalb Jahre lang Vizepremier sein und im Sicherheitskabinett mitreden. Die Linksopposition sprach von einem "stinkenden Manöver", durch das sich die "Feiglinge" Netanjahu und Mofaz vor Wahlen drücken würden. "Das ist der lächerlichste Zickzack, den es in der israelischen Politik je gegeben hat", sagt Schelly Jachimowicz, Chefin der Arbeiterpartei, "diesen Trick wird niemand vergessen."

Der Anstoß zu den diskreten Verhandlungen über die Koalitionserweiterung muss vorige Woche gegeben worden sein. Zu diesem Zeitpunkt hielt Netanjahu nach dem Tod seines 102-jährigen Vaters nach jüdischer Tradition eine siebentägige Trauerperiode ein, und Mofaz stattete ihm einen Kondolenzbesuch ab. Die anderen Koalitionspartner - zwei orthodoxe Parteien, die rechtsgerichtete Israel-Beitenu-Partei des Außenministers Avigdor Lieberman und die von der Arbeiterpartei abgespaltene Fraktion von Verteidigungsminister Ehud Barak - wurden offenbar erst eingeweiht, als der Deal perfekt war, erklärten sich aber damit einverstanden. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 9.5.2012)