Washington - Anders als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat US-Präsident Barack Obama im französischen Wahlkampf nicht offen Partei für Amtsinhaber Nicolas Sarkozy ergriffen. Allerdings betonte seine Regierung regelmäßig die guten Beziehungen zu Sarkozy. Auch Obama hätte sich wohl ein weiteres Mandat für den altbekannten Partner statt des Sieges des Sozialisten Francois Hollande gewünscht. Grund dafür ist Hollandes Ankündigung, bis Jahresende alle französischen Soldaten aus Afghanistan heimzuholen. Washington sorgt sich um die gemeinsame Abzugstrategie der NATO.

Hollande hatte sich am Sonntag in der Stichwahl gegen Sarkozy durchgesetzt, die offizielle Reaktion aus Washington am Tag darauf folgte den diplomatischen Gepflogenheiten. Eine Änderung im Verhältnis beider Länder werde es nicht geben, versicherte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. "Das Bündnis ist heute genauso stark wie in der vergangenen Woche." Obama habe mit Hollande am Wahlabend telefoniert und freue sich, den künftigen französischen Staatschef in knapp zwei Wochen beim Doppelgipfel von G-8 und NATO in den USA zu treffen.

Hollande will 3300 Soldaten bis Ende 2012 heimschicken

Der US-Präsident befindet sich aber selbst im Wahlkampf. Dort wirbt er unter anderem damit, nach dem Ende des Militäreinsatzes im Irak auch die Weichen für einen Abzug aus Afghanistan gestellt zu haben. Beim NATO-Gipfel im November 2010 in Lissabon hatte die Militärallianz beschlossen, bis Ende 2014 alle ausländischen Kampftruppen vom Hindukusch abzuziehen. Eine neue Abzugsdebatte innerhalb der NATO käme Obama wenige Monate vor der Wahl äußerst ungelegen.

Hollande will die 3300 französischen Soldaten nun bis Ende 2012 nach Hause bringen, der Abzug soll unmittelbar nach seinem Amtsantritt beginnen. Der künftige französische Staatschef hatte versichert, den Rückzug "in guter Zusammenarbeit" mit den Verbündeten über die Bühne zu bringen, um kein Sicherheitsvakuum zu hinterlassen. Zudem hatte bereits Sarkozy den Stichtag für sein Land um ein Jahr auf Ende 2013 vorgezogen, nachdem ein afghanischer Soldat im Jänner vier französische Soldaten erschossen hatte.

Weitere Staaten könnten Frankreichs Beispiel folgen

Die Sorge in Washington ist dennoch groß, dass nach Hollandes Schwenk weitere Truppensteller-Staaten die Pläne zur schrittweisen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen über den Haufen werfen könnten. Kanada und die Niederlande hatten sich bereits zuvor aus dem Kampfeinsatz verabschiedet, auch Australiens Regierungschefin Julia Gillard erklärte, die Truppen ihres Landes früher abziehen zu wollen. "Es geht hier in gewisser Weise um die Geschlossenheit der Bündnispartner", sagt Stephen Flanagan von der Washingtoner Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. Nominell sei der Beitrag der Franzosen zu den derzeit 130.000 internationalen Soldaten nicht entscheidend, "aber es ist wichtig von einem Standpunkt der politischen Solidarität aus".

Im Hauptquartier der Militärallianz in Brüssel werden Hollandes Pläne ebenfalls mit Argwohn verfolgt. Die Ankündigung aus Paris sei "nicht sehr freundlich aufgenommen" worden, heißt es in NATO-Kreisen. Allerdings hätten die zuständigen Stäbe für den Fall eines Hollande-Sieges die nötigen Vorkehrungen getroffen und könnten auf einen beschleunigten französischen Abzug reagieren. Ohnehin werden die Franzosen nicht über Nacht aus Afghanistan verschwinden: Der logistische Aufwand ist bei 3300 Soldaten, 1500 Containern mit Material, 1200 Fahrzeugen und 14 Hubschraubern enorm. (APA, 8.5.2012)