Publikationen in Fachzeitschriften sollen die Karriere junger Forscher voranbringen.

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Wien - Wie viele wissenschaftliche Arbeiten sind wohl seit Gründung der ersten wissenschaftlichen Fachzeitschrift jemals publiziert worden? Der Forscher Arif E. Jinhwa von der Universität Ottawa hat versucht, jene Zahl zu rekonstruieren. Sein Ergebnis: Von den Anfängen der Philosophical Transactions of the Royal Society im Jahr 1665 bis heute wurden mehr als 50 Millionen Artikel publiziert. Ein Blick auf die großen Datenbanken zeigt das gewaltige Ausmaß des Publikationswahns: Medline etwa, eine öffentlich zugängliche Bibliografie des amerikanischen National Center for Biotechnological Information, verzeichnet einen jährlichen Zuwachs von mehr als 750.000 Veröffentlichungen. Jede Minute kommen knapp anderthalb neue wissenschaftliche Artikel hinzu.

Auch in Österreich wird im Akkord veröffentlicht, denn der Karrierewert junger Wissenschafter wird primär über die Anzahl der Publikationen und deren Wert in der wissenschaftlichen Gemeinschaft definiert. Dabei entscheiden ausschließlich Veröffentlichungen in Zeitschriften mit "impact factor". Dieser wird anhand der Anzahl der Zitierungen in anderen Fachzeitschriften gemessen, beschreibt also die Resonanz eines Journals.

Gefälschte Studienergebnisse

Internationale Speerspitzen im naturwissenschaftlichen Bereich sind etwa Science und Nature. Wer hier veröffentlicht, muss bahnbrechende Ergebnisse liefern. Dass der Publikationsdruck gefälschte Studienergebnisse begünstigt, ist anzunehmen. Die Spitze des Eisbergs war der Fall Hwang Woo-suk von 2005: Der Südkoreaner behauptete fälschlicherweise in Science, menschliche Embryonalzellen geklont zu haben.

Vereinzelt regt sich Widerstand: In Deutschland haben bereits vergangenes Jahr zwei Dutzend namhafter Experten nach einer Tagung des Robert-Bosch-Instituts ein Thesenpapier veröffentlicht, in dem sie sich für eine Eindämmung der Publikationsflut aussprechen, mehr Transparenz bei der Datenerhebung fordern sowie die Abschaffung von Kurzzeitverträgen. "Es kann nicht sein, dass die Zahl der Publikationen als Evaluationskriterium für wissenschaftliche Leistungen herangezogen wird", meint Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Uni Göttingen und Unterzeichnerin des Papiers.

Unter dem System leidet vor allem die Lehre, denn ob Forscher viel oder wenig lehren und dabei gut oder schlecht ihr Wissen vermitteln, ist für ihre Karriere schlicht irrelevant. Karl Reiter vom Betriebsrat für wissenschaftliches Personal an der Uni Wien behauptet gar: "Wer sich als Nachwuchswissenschafter auf die Lehre konzentriert, ist von Anfang an verloren."

Dem stimmt Mario Becksteiner von der Interessenvertretung der österreichischen Lektoren zu: "Wer Karriere machen will, muss forschen. Wer lehrt, kommt nicht zur Forschung."

Laut Reiter wird an manchen Instituten die Lehre zu mehr als 30 Prozent von Pensionierten ausgeführt. Der Nachwuchs würde weitgehend fernbleiben. Die Unis profitierten noch immer vom Personalschub während der Bruno-Kreisky-Regierungen Anfang der Siebzigerjahre. Damals wurden etliche Nachwuchswissenschafter angestellt, die noch heute die Lehre "in vielen Bereichen aufrechterhalten". Diese Generation geht jedoch in den nächsten Jahren in Pension und stellt laut Reiter "die Unis vor ein massives Problem".

Abhilfe durch Lehrpersonal

Teilweise Abhilfe könnten Senior Lecturers leisten, also bewährte Lektoren, deren Haupttätigkeit die Lehre ist und die auch anhand dieser bewertet werden. Anders als externe Lektoren, die hauptsächlich pro Semester angestellt werden, haben sie grundsätzlich die Möglichkeit auf einen unbefristeten Dienstvertrag. Seit dem Kollektivvertrag von 2010 wurden Senior Lecturers erstmals an heimischen Unis angestellt - jedoch nur marginal: Bei fast 90.000 Studierenden gibt es an der Uni Wien derzeit 89 Senior Lecturers. Unter den herkömmlichen Lektoren haben lediglich 27 einen unbefristeten Vertrag, also weniger als ein Prozent. (Fabian Kretschmer, UNISTANDARD, 3.5.2012)