Wien - In einer Welt als globaler Campus teilt man den Professor mit hunderttausenden Mitstudierenden aus aller Welt. Statt des überfüllten Hörsaals gibt es die Vorlesung in den eigenen vier Wänden - und das, wann und so oft man will. Noten sind obsolet - um eine Lehrveranstaltung zu absolvieren, nimmt man sich so viel Zeit, wie man braucht. Im Internet gibt es keinen Grund auszusieben. So könnte sie aussehen, die Universität 2.0.

Die Realität zeigt aber: Obwohl längst im digitalen Zeitalter angekommen, präsentieren sich die meisten Hochschulen in der Lehre noch immer wie vor der Erfindung des Internets - vorne der Professor, auf den Bänken die Studierenden. Lediglich die Tafel wurde durch die Powerpoint-Präsentation ersetzt. Universität im digitalen Zeitalter heißt bei den meisten Hochschulen, Vorlesungsverzeichnisse hochzuladen und sich online zu präsentieren. Selbst Fernuniversitäten verschicken Materialien mit der Post und organisieren Prüfungen in angemieteten Gebäuden.

Was das Internet in der Lehre für eine Rolle spielen könnte, zeigt die Plattform Udacity. Dieses Jahr von Ex-Stanford-Professor und Google-Street-View-Mitentwickler Stefan Thrun und Kollegen ins Leben gerufen, verspricht die Plattform "Gratisunterricht, erstklassige Lehrende und eine inspirierende Gemeinschaft". Der Plattform voraus ging eine von Thrun über zehn Wochen online gehaltene Vorlesung zum Thema künstliche Intelligenz. Statt 200 Studierenden hatte Thrun plötzlich ein Publikum von 160.000 Menschen, aus den verschiedensten Ländern der Welt. Das Wichtigste dabei war für Thrun dabei die Interaktivität. In jeder Vorlesung gab es eingebaute Fragen - nur mit der richtigen Lösung konnte man die Übung fortsetzen. Für falsche Antworten lud Thrun Erklärungen hoch. Auch die meisten seiner Stanford-Studierenden verfolgten ihren Professor lieber vor dem Monitor als im Hörsaal. Schlussendlich schlossen 23.000 Studierende die Vorlesung positiv ab.

Vorteile für Massenstudien

Das Experiment hat Thruns Sicht auf Lehre verändert. Seine Stanford-Professur hängte er an den Nagel: "Eine Rückkehr an die klassische Uni war einfach nicht mehr denkbar." Dem Deutschen gefiel, wie vielen Menschen er plötzlich durch seine Videos erstklassige Bildung bieten konnte. Derzeit baut er das Angebot bei Udacity aus.

Elitebildung für zu Hause gibt es auch bei iTunesU, dem Bildungsangebot von Apple. Universitäten wie Harvard oder Yale präsentieren hier Kurse, die sonst nur wenigen vorbehalten blieben.

Auch österreichische Hochschulen finden sich auf der Plattform, die Uni Graz ist eine davon. 600 Episoden, in denen es sowohl Einführungsvorlesungen wie Beiträge aus dem Webradio der Uni zu hören gibt, haben sich seit September 2010 angesammelt. Für den Leiter der Akademie für Neue Medien und Wissenstransfer der Uni Graz, Michael Kopp, war neben der Vermarktung vor allem die Absicht, Wissenschaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, einer der Beweggründe, sich auf iTunesU zu präsentieren. Profitieren sollen auch Studierende. Vor allem für überlaufene Studiengänge sieht Kopp einen Vorteil im Online-Angebot: "Die Downloadspitzen liegen immer in der Prüfungsvorbereitungszeit."

Dennoch gibt es vielerorts noch Zurückhaltung, Inhalte hochzuladen. Kopp erklärt sich das durch ungelöste rechtliche Fragen, vor allem im Urheberrecht. Ein kompletter Umstieg auf Online-Lehre ist für Kopp trotz aller Vorteile nicht denkbar: "Es gibt natürlich auch Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben."

Auch über die Effizienz der Online-Lehre sind sich Experten nicht einig - schlechter Unterricht wird durch bloße Digitalisierung schließlich nicht besser. Die Uni Graz startet hierfür im Wintersemester eine umfangreiche Studie, um Erwartungen, Einstellungen, Lernverhalten und Lernerfolge Studierender in digitalen Vorlesungen zu untersuchen.(Lara Hagen, UNISTANDARD, Mai 2012)