Etwa 400 Teilnehmer aus verschiedenen Sparten kamen auf Einladung des Vereins Wirtschaft für Integration ins Rathaus, um über Migration zu diskutieren.

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Visuelle Protokolle des Zweiten Integrationstages.

Foto: VWFI/Visuelle Protokolle

Etwa 400 Teilnehmer aus verschiedenen Sparten kamen auf Einladung des Vereins Wirtschaft für Integration vergangenen Freitag im Wiener Rathaus zusammen, um einen Tag lang unter dem Motto "Partizipation" über Migration zu diskutieren. Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) eröffnete etwas überraschend mit der Erwähnung von Diskriminierung, Rassismus und Solidarität - Reizwörtern, die in der öffentlichen Debatte über Migration dem Leistungsdiskurs gewichen sind.

daStandard.at-Leiterin Olivera Stajić präsentierte hierzu verschiedene Studienergebnisse, die Österreich beim Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen ein schlechtes Zeugnis ausstellen: Bei Chancengleichheit ist Österreich im internationalen Vergleich demnach weit hinten. Stajić betonte zudem, dass es hierzulande nur sehr wenige wissenschaftliche Studien über Rassismus und Diskriminierung gibt - ein Anstoß für die Zukunft.

Der deutsche Migrationsexperte Mark Terkessidis propagierte in seiner Rede, vom Begriff "Integration" zugunsten von Sichtweisen der Interkultur abzugehen. Terkessidis betonte auch die Notwendigkeit der Durchlässigkeit von Institutionen, Behörden und öffentlichen Plätzen für alle Bevölkerungsschichten - auch im architektonischen Sinne. (Im ehrwürdigen Wiener Rathaus nur zu gut zu verstehen: Jene, die nicht von klein auf mit ihren Eltern in Staatsoper oder Burgtheater mitgenommen wurden, treten dem Pomp statt mit Gelassenheit vielleicht eher mit (Ehr-)Furcht entgegen.)

Ganz alte Witze

Doch so weiträumig denkt man in Österreich noch nicht. Am Integrationstag blieben Moderatoren und Initiatoren bei bekannten Problemen: zu wenige Journalisten mit Migrationshintergrund, zu viele Kinder mit anderer Erstsprache als Deutsch. Georg Kraft-Kinz, Generaldirektor-Stellvertreter der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, hielt eine etwas pathetische und wenn nicht ganz flammende, so doch brutzelnde Rede: Man könne nicht mehr auf die langsame Politik warten, Unternehmer und Interessenvertreter müssten beim Thema Migration beispielhaft vorangehen. Er wünsche sich das wirtschaftlich stärkste, friedlichste und innovativste Österreich, sagte Kraft-Kinz und unterstrich, dass Lehrer die Architekten dieser Zukunft seien.

Ali Rahimi, gemeinsam mit Kraft-Kinz Initiator des Vereins Wirtschaft für Integration und der Veranstaltung, sprach die Notwendigkeit einer produktiven Zusammenarbeit zur Lösung gesellschaftlicher Probleme an und rundete seine Ansprache mit einer recht abgegriffenen Anekdote ab: Ein Kunde habe dem Teppichhändler nach einem längeren Gespräch auf Wienerisch das Zugeständnis gemacht, dass Rahimi, dessen Familie schon seit Jahrzehnten in Österreich lebt, doch überraschend gut Deutsch spreche. Seine Antwort: "Sie aber auch!"

Networking und Ergebnisse

Nach dem Auftakt ging es in die Seminarräume, wo in kleineren Gruppen Vorschläge für die Zukunft ausgearbeitet wurden. Die Rahmenthemen lauteten Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt, der Fokus lag auf Partizipation. An verschiedenen Locations am Wiener Ring fanden Diskussionen, Expertengespräche und Gruppenarbeiten statt. Am Abend wurden von verschiedenen Experten die Ergebnisse der Arbeitsgruppen präsentiert. Im Bereich Gesellschaft wünschten sich die Teilnehmer des zweiten Integrationstages ein "Vielfalt"-Mediennetzwerk (was genau damit gemeint war, blieb unklar), eine positivere Geisteshaltung und vernetztere Vereinsarbeit. Bezüglich Bildung schlugen die betreffenden Arbeitsgruppen eine gemeinsame Ausbildung aller Pädagogen vor, begrüßten die Einrichtung neuer, moderner und vielfältiger Lernmöglichkeiten und forderten geregelte Richtlinien für Diversitätspolitik in Bildungseinrichtungen. Am Arbeitsmarkt seien Umdenken und bessere Anerkennungsmaßnahmen gefragt.

Raiffeisen und Co.

Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) zeigt sich von den Ergebnissen und Forderungen unbeeindruckt: "Man kann sich schon vorstellen, dass der Expertenrat des Integrationsstaatssekretariats auf ähnliche Vorschläge kommt, daher habe ich heute wenig Neues gehört. Trotzdem ist es gut, dass so viele Menschen in Dialog kommen", sagte Kurz.

"Awareness-Raising" unter Menschen, die sowieso Zugang zu der Thematik haben - das ist wohl, was von diesem Integrationstag bleibt. Immerhin sind viele Teilnehmer selbst schon involviert in Vereine oder Projekte, die mit Migration zu tun haben. Während vergangenes Jahr noch für jedes Ziel ein zeitlicher Rahmen und konkrete Zahlen formuliert wurden, finden sich unter den Ergebnissen dieses Jahres zwar gut gemeinte, aber sehr schwammige Neujahrsvorsätze.

Die Präsentation der Ergebnisse sorgte auch für weitere Irritation. Ein Kursteilnehmer wunderte sich: Von der Arbeitsgruppe zu gering qualifizierten Jugendlichen sei deutlich die Durchsetzung von Ganztagsschulen und Gesamtschulen gefordert worden. Weiters habe die Gruppe Maßnahmen zur Senkung der Abbrecherquote angedacht und ein Orientierungsjahr nach dem Bildungsweg vorgeschlagen, in dem sich Jugendliche mit Unterstützung von Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft selbstbestimmt und verantwortungsvoll für einen Beruf entscheiden könnten. Davon sei aber bei der Präsentation nichts mehr zu hören gewesen. "Wahrscheinlich wurde das so zusammengefasst und kondensiert, bis es mit den Ansichten der Sponsoren - Industriellenvereinigung und Raiffeisen - übereinstimmt", meinte der Teilnehmer. Kondensiert? Eher ein Phasenübergang zur Unkenntlichkeit.

Handeln statt reden

Es war ein Tag der geflügelten Worte wie "Jeder ist anders anders" oder "Teurer als Bildung kommt auf lange Sicht nur keine Bildung". Bleibt nur die Frage, warum die Raiffeisen nicht auf ihren eigenen Rat hört - nämlich nicht auf die Politik zu warten. Man könnte, anstatt einen teuren Austausch wie beim Integrationstag zu veranstalten, auch selbst mit der Umsetzung der Forderungen zu beginnen. Etwa mit der Einführung eines anonymen Bewerbungsverfahrens - ebenfalls eine Maßnahme, die in den Gruppen diskutiert wurde, es aber nicht bis zur Präsentation am Abend schaffte. Handeln statt reden würde auch ein eingeladener Experte lieber: "Man könnte mich statt für die Teilnahme an diesem Tag auch für Diversity-Training oder Seminare in Firmen oder Politikberatung bezahlen. Das hätte vielleicht einen schnelleren und direkteren Einfluss." (Olja Alvir, daStandard.at, 3.5.2012)