Es jährt sich zum 67. Mal, und weil es Teil meiner unbedeutenden Familiengeschichte ist, was 1945 in Bleiburg geschieht, erzähle ich heute von meinem Großvater, dem kroatischen Partisanen. Und ein wenig von meiner Großmutter, der volksdeutschen Partisanin.

Backe, backe - Offizier!

Mit 14 Jahren schicken seine Eltern ihn zu einem Bäckermeister in die Lehre. Doch die vom Teigkneten riesig gewordenen Hände benützt der trunksüchtige Meister hauptsächlich zum Prügeln seiner Lehrlinge. Bald hat Großvater genug davon und meldet sich freiwillig für die königliche Jugoslawische Armee. Seine vom Teigkneten kräftig und flink gewordenen Finger und sein Musiktalent fallen einem Kapellmeister auf, der meinen Opa in die Militärmusikkompanie des Regiments aufnimmt. Da lernt er den Kontrabass zu spielen. Der Kapellmeister prügelt seine Lehrlinge ebenfalls - aber streng nach Vorschrift! Damit kann Opa jedoch gut leben, weil immer klar ist, wann er wofür wie viele Prügel bekommt.

Als der Zweite Weltkrieg im April 1941 über Slavonska Požega in Kroatien hinwegrollt, ist mein Großvater Offizier und Kapellmeister. Einer, der die Kadetten nie prügelt. Er wird zusammen mit seinen alten Kameraden in eine neue Uniform gesteckt, bekommt den alten Job als Kapellmeister und dirigiert seine Kapelle nun als Domobran, ein regulärer Soldat des Unabhängigen Staates Kroatien. Er muss auf niemanden schießen und keiner schießt auf ihn. Bis 1942 ...

Opas Partisanenapfel

Sie geht von Feuer zu Feuer und sieht immer gleiche magere Gestalten. Einer davon muss mein Großvater sein, der Wochen zuvor zu den Partisanen gestoßen ist. Später sagt die Oma, sie habe den Opa erkannt, weil niemand in unserer Familie einen Apfel so weit in den Mund schieben und dann abbeißen kann wie der Opa. So finden meine Großeltern einander als bewaffnete Aufständische in den Wäldern des Papuk in Slawonien wieder. Der vermeintliche Apfel ist aber eine Zwiebel, das einzige Nahrungsmittel, das Opa noch dabeihat. Ein Partisanenapfel eben.

Großvater geht zu den Partisanen, weil ihm die Idee eines klassenlosen Jugoslawien in Arbeiterhand einfach besser gefällt als ein kroatischer Patriotismus unter deutscher Faust. Die Verbrechen der Wehrmacht und der Ustascha werden hinter vorgehaltener Hand unter den Offizieren diskutiert und als Unrecht empfunden, die Verbrechen der Partisanen als Propaganda abgetan oder als das kleinere Übel hingenommen. So beschließt eine Gruppe von ihnen, mit ihren Waffen zu den Partisanen überzulaufen. Mein Opa erschießt seinen Kontrabass, um sein Gewehr zu testen, und schließt sich ihnen an.

Oma geht auch in den Wald

Meine Großmutter ist nicht politisch motiviert, als sie ebenfalls beschließt, ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Sie ist nur verzweifelt. In Slavonska Požega wird ein Soldat der Wehrmacht angeschossen. Dafür sollen laut dem berüchtigten "Geiselbefehl" 50 Zivilisten erschossen werden. Meine Großmutter wird zusammen mit ihren Kleinkindern - meiner späteren Mutter und Tante - auf der Straße verhaftet und in das Gefängnis gebracht. Die Erschießung ist für den nächsten Tag angesetzt.

Ein Cousin beim Ustascha-Sicherheitsdienst interveniert bei der Wehrmacht. Meine Oma, so der Cousin, sei erstens eine Volksdeutsche, und die werden nicht erschossen. Und zweitens sei mein Opa gar nicht bei den Partisanen, sondern nur mit einer anderen Frau nach Pleternica abgehauen, weil die Oma so eine unerträgliche Nörglerin ist, was der einzige Grund sein könnte, sie zu erschießen. Immer, wenn die Oma uns später diese Geschichte der Rettung in letzter Sekunde erzählt und an diese Stelle anlangt, nickt der Opa zustimmend. Hinter ihrem Rücken.

Das Grab im Wald

Bleiburg bleibt für mich nur ein Dorf in Kärnten, bis ich meinen Großvater frage, wie weit er 1945 mit den Partisanen marschiert ist. Es ist ein warmer Abend in Sutivan, im Sommer 1985, nur ich und Großvater sitzen noch auf der Terrasse und trinken Wein, während alle anderen schon schlafen. Ich meine, alle Kriegsgeschichten meiner Großeltern zu kennen, die Stolz auf ihren Kampf gegen ungebetene Besatzer sind. "Bleiburg ...", sagt Großvater, schließt die Augen. Eine Träne. Dann zwei. Dann weint Großvater. Und erzählt nach 40 Jahren zum ersten Mal von Bleiburg.

Großvater bekommt noch vor Bleiburg einen Kontrabass und andere Instrumente, requiriert aus einer Musikschule, und den Auftrag, eine Kapelle zu bilden. Falls Tito nach Kärnten kommt, um mit den Engländern zu verhandeln. In einem Dorf bei Klagenfurt üben sie die Hymne "Hej, Sloveni". Eine Patrouille bringt einen jungen Ustascha, aufgestöbert im nahen Wald. Das Hauptquartier befiehlt, den Gefangenen einfach zu erschießen. Doch der Kommandeur vor Ort setzt trotzdem ein Standgericht zusammen, das diese "Verhandlung" protokolliert und das Todesurteil ausspricht. Mein Großvater wird als Zeuge der Hinrichtung abkommandiert. Ein Grab im Wald ist schon ausgehoben.

Der Ustascha, der so jung ist, dass ihm noch nicht einmal ein Bart wächst, den man sicherlich erst wenige Wochen zuvor unter Zwang rekrutiert hat und der nun vor seinem Grab steht, zittert. Und weint. Ein Offizier befiehlt ihm, in das Grab zu steigen und sich dort niederzulegen. Das halbe Kind in einer zerrissenen schwarzen Uniform dreht sich langsam um und fragt schluchzend: "Soll ich mich auf den Rücken oder auf den Bauch legen?" Schüsse statt einer Antwort schleudern ihn in das Grab.

Am Ende des Tages

Mein Großvater bleibt in der Volksarmee und wird als Major in den 60ern pensioniert. Zusammen mit meinem Vater baut er das Haus auf Brač. Er freut sich besonders auf die langen Sommerabende, mit seiner Familie auf der großen Terrasse, die auf die Adria blickt. Der Cousin aus dem Ustascha-Sicherheitsdienst ist seit 1944 in Bosnien vermisst. Der Chef der Polizei von Slavonska Požega, M. A., lebt bis ins hohe Alter unbehelligt in Klagenfurt. Meine Großmutter kommt 1944 aus dem Wald und kehrt zu ihren Töchtern nach Slavonska Požega zurück. Großvater spricht nie wieder über Bleiburg. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 2.5.2012)