Vielleicht war es das Schlimmste, was der W 800, jedenfalls aber das Beste, was der Kawasaki Versys 1000 passieren konnte. Dass ich von der Ersteren direkt auf die Zweitere umgestiegen bin. Gerade beim direkten Vergleich werden die Stärken und Schwächen so klar, dass sie einen fast schon schrecken.

Die Sitzposition von Big-Enduros ist ja sowieso die Feinste, die es auf zwei Rädern gibt. Und das gilt natürlich auch auf der 1000er Versys. Aufrecht und trotzdem sportlich, entspannt und trotzdem agil. Auf dem Sitzerl der Versys hältst du es locker ein paar Stunden aus, ohne dass du den Tag verfluchst, an dem du Motorräder als die erste Wahl gesehen hast, andere zu beeindrucken.

Foto: Guido Gluschitsch

Ein Vierer statt eines Zweiers

Beeindruckend ist der Motor der 1000er Versys - obwohl man sich im ersten Moment schreckt. Nach dem erdigen Paralleltwin der W 800 schnurrt die große Versys am Stand wie ein Kätzchen. Ein großes Kätzchen. Mit Mähne. Aber doch irgendwie so sanft wie ein Stubentiger auf gefüllten Schokopralinen. Kein Wunder, werkt in der Versys kein Zweizylinder wie in der Konkurrenz - abgesehen vom auch sehr feinen Dreier der Triumph -, sondern ein Reihen-Vierer, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kraftwerk der Zett hat.

Foto: Guido Gluschitsch

Die Konkurrenz verbaut ja deswegen so gern Zwei-Zylinder-Motoren in Big-Enduros, weil sie einen herrlichen Punch von unten heraus liefern. Viel Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen ist die Devise, Leistung im oberen Drehzahlbereich nicht soooo wichtig. Damit Kawasaki unten heraus mehr Drehmoment aus dem Zett-Motor holen konnte, mussten sie einen neuen Zylinderkopf verbauen und die Steuerzeiten verändern. Jetzt hat der Motor 118 PS und ein maximales Drehmoment von 102 Newtonmeter, dreht sauber von unten raus und macht auch oben hinaus richtig Spaß. Das Aggregat passt also ideal zum flotten Einsatz auf der Straße.

Foto: Guido Gluschitsch

Lass mich auf der Straße

Genau dort fühlt sich die Kawasaki auch daheim. Die Versys ist nicht für große Abstecher ins Gelände gebaut. Trotzdem hat Kawasaki daran gedacht, dass eine Big-Enduro auch einmal im Stehen gefahren wird - während Ducati bei der Multistrada darauf gänzlich vergessen hat und einen zum Sitzen zwingt, lässt sich die Versys sehr gut stehend fahren.

Auf der anderen Seite wiegt die Multistrada trocken bei Weitem keine 200 Kilogramm, die Versys, fahrfertig, aber 239 Kilogramm. Eine schlechte Ansage für den Kundenbereich der lieber Leistung, Drehmoment und Gewicht vergleicht, um ein Motorrad zu beurteilen, als es zu fahren. Damit schlägt sich die Versys unter ihrem Wert, denn blunzig fühlt sie sich keine Sekunde lang an - ganz im Gegenteil, egal ob man sie drückt, legt oder im Hang-off fährt, der Versys taugt es.

Foto: Guido Gluschitsch

3-stufige Traktionskontrolle

Den Vogel hat aber Roland Resch abgeschossen, der meint: "Mir taugt die Versys so, weil man sie wie eine Supermoto fahren kann." Das mag schon sein, dazu muss man aber schon sehr gut Supermoto fahren können. Um die Versys zu fahren, muss man eigentlich gar nicht viel können. KTRC, die Traktionskontrolle hat eh ein Auge auf alles - alle fünf Millisekunden.

Foto: Guido Gluschitsch

In drei Stufen kann man die Traktionskontrolle einstellen: von "Lass mein Vorderrad immer am Boden" auf Stufe drei, bis hin zu leichten Slides in Stufe eins. Und dann gibt es noch einen Knopf, den ich mir lange nicht erklären konnte. Der reduziert die Leistung des Motors auf rund 75 Prozent. Offiziell ist das für Regenwetter gemacht und passt sehr gut zur dritten Stufe der Traktionskontrolle. Aber wer braucht schon eine Leistungsreduzierung für nasse Straßen, wenn er eh eine fein agierende Traktionskontrolle am Radl hat? Eben.

Foto: Guido Gluschitsch

Täuschen und behalten

Nein, nein, das Zeug ist nur für den Fall drauf, dass Sie Ihre Versys einmal herborgen. Elektronisch weichgestreichelt fällt es Ihrem besten Freund sicher schwerer, Ihr Eisen in den nächsten Graben zu werfen. Und Augen wird er erst machen, wenn Sie dann auf dem gleichen Bock um ein Viertel flotter sind als er.

Nur geben Sie acht, lassen Sie sich nicht von dem kleinen Eco-Logo ablenken, dass gerne auch einmal aufleuchtet, wenn man weit in der führerscheinfreien Zone vom Gas geht. Das demotiviert nämlich unendlich. Und bei einem 21 Liter fassenden Tank muss man jetzt auch nicht jede Sekunde auf den Verbrauch schauen.

 

Foto: Guido Gluschitsch

Kawasaki Versys 1000

Motor: 4-Takt-4 Zylinder-Reihenmotor, 16 Ventile
Hubraum: 1043 ccm | Leistung: 86,8 kW (118 PS) bei 9.000 U/min
Drehmoment: 102 Nm bei 7.700 U/min | Kraftübertragung: Kette
Radaufhängung vorne: 43 mm USD-Gabel, vollverstellbar
Radaufhängung hinten: Federbein, vollverstellbar
Bremse vorne: Scheibenbremse, Ø 300 mm Doppelscheibe, 4-Kolben, ABS
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 250 mm, 1-Kolben, ABS
Reifen vorne: 120/70 ZR17M/C | Reifen hinten: 180/55 ZR17M/C
Gewicht vollgetankt: 239 kg | Sitzhöhe: 845 mm
Preis: ab 14.699 Euro

+ Die Idee einen Reihenvierzylinder in eine Big-Enduro zu pflanzen, hat Kawasaki richtig gut umgesetzt - genauso wie die exakten Bremsen.

- Die Eco-Leuchte mag sicher keine Umweltfanatiker auf die Versys ziehen und deprimiert die Andrücker.

Foto: Guido Gluschitsch